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02 - Winnetou II

02 - Winnetou II

Titel: 02 - Winnetou II Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Zeit sitzt er gewöhnlich im Wirtshaus. Das ist so deutsche Sitte hier. Ihr braucht also nur nach ihm zu fragen, Master Lange aus Missouri. Sagt ihm, daß der Commissioner Euch geschickt habe! Geht grad aus und dann links um das zweite Haus; da werdet Ihr das Schänkhaus an den brennenden Lichtern erkennen. Die Läden sind wohl noch offen.“
    Ich gab dem Mann ein Trinkgeld für die erteilte Auskunft, und dann wanderten wir mit unsern Pferdegeschirren weiter. Das Vorhandensein des Wirtshauses war nicht nur an den Lichtern, sondern noch weit mehr an dem Lärm zu erkennen, welcher aus den geöffneten Fenstern drang. Über der Tür war eine Tierfigur angebracht, welche einer Riesenschildkröte glich, aber Flügel und nur zwei Beine hatte. Darunter stand zu lesen: ‚Hawks inn‘. Die Schildkröte sollte also einen Raubvogel vorstellen, und das Haus war der ‚Gasthof zum Geier‘.
    Als wir die Stubentür öffneten, kam uns eine dicke Wolke übelriechenden Tabakqualmes entgegen. Die Gäste mußten mit vortrefflichen Lungen ausgerüstet sein, da sie in dieser Atmosphäre nicht nur erstickten, sondern sich augenscheinlich ganz wohl zu befinden schienen. Übrigens erwies sich der ausgezeichnete Zustand ihrer Lungen bereits aus der ungemein kräftigen Tätigkeit ihrer Sprachwerkzeuge, denn keiner sprach, aber jeder schrie, so daß es schien, als ob niemand auch nur eine Sekunde schweige, um zu hören, was ein anderer ihm vorbrüllte. Angesichts dieser angenehmen Gesellschaft blieben wir einige Minuten an der Tür stehen, um unsere Augen an den Qualm zu gewöhnen und die einzelnen Personen und Gegenstände unterscheiden zu können. Dann bemerkten wir, daß es zwei Stuben gab, eine größere für gewöhnliche und eine kleinere für feinere Gäste, für Amerika eine sonderbare und sogar gefährliche Einrichtung, da kein Bewohner der freien Staaten einen gesellschaftlichen oder gar moralischen Unterschied zwischen sich und andern anerkennen wird.
    Da vorn kein einziger Platz mehr zu finden war, so gingen wir nach der hinteren Stube, die wir ganz unbeachtet erreichten. Dort standen noch zwei Stühle leer, die wir für uns in Anspruch nahmen, nachdem wir die Sättel in eine Ecke gelegt hatten. An dem Tisch saßen mehrere Männer, welche Bier tranken und sich in deutscher Sprache unterhielten. Sie hatten uns nur einen kurzen forschenden Blick zugeworfen, und es schien mir, daß sie bei unserm Nahen schnell auf ein anderes Thema übergegangen seien, wie ihre unsichere, suchende Sprachweise vermuten ließ. Zwei von ihnen waren einander ähnlich. Man mußte sie auf den ersten Blick für Vater und Sohn halten, hohe, kräftige Gestalten mit scharf markierten Zügen und schweren Fäusten, ein Beweis fleißigen und anstrengenden Schaffens. Ihre Gesichter machten den Eindruck der Biederkeit, waren aber jetzt von lebhafter Aufregung gerötet, als ob man sich über ein unliebsames Thema unterhalten hätte.
    Als wir uns niedersetzten, rückten sie zusammen, so daß zwischen ihnen und uns ein freier Raum entstand, ein leiser Wink, daß sie nichts von uns wissen wollten.
    „Bleibt immerhin sitzen, Mesch'schurs!“ sagte Old Death. „Wir werden euch nicht gefährlich, wenn wir auch seit heut früh fast gar nichts gegessen haben. Vielleicht könnt ihr uns sagen, ob man hier etwas Genießbares bekommen kann, was einem die liebe Verdauung nicht allzu sehr malträtiert?“
    Der eine, den ich für den Vater des andern hielt, kniff das rechte Auge zusammen und antwortete lachend:
    „Was das Verspeisen unserer werten Personen betrifft, Sir, so würden wir uns wohl ein wenig dagegen wehren. Übrigens seid Ihr ja der reine Old Death, und ich glaube nicht, daß Ihr den Vergleich mit ihm zu scheuen brauchtet.“
    „Old Death? Wer ist denn das?“ fragte mein Freund mit möglichst dummem Gesicht.
    „Jedenfalls ein berühmteres Haus als Ihr, ein Westmann und Pfadfinder, der in jedem Monat seines Herumstreichens mehr durchgemacht hat, als tausend andere in ihrem ganzen Leben. Mein Junge, der Will, hat ihn gesehen.“
    Dieser ‚Junge‘ war vielleicht sechsundzwanzig Jahre alt, tief gebräunten Angesichtes, und machte den Eindruck, als ob er es gern und gut mit einem halben Dutzend anderer aufnehmen würde. Old Death betrachtete ihn von der Seite her und fragte:
    „Der hat ihn gesehen? Wo denn?“
    „Im Jahre Zweiundsechzig, droben im Arkansas, kurz vor der Schlacht bei Pea Ridge. Doch werdet Ihr von diesen Ereignissen wohl kaum etwas

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