020 - A.S. der Unsichtbare
aus dem Fenster, daß er diesen Weg zweifellos schon häufig benützt hat. Er ging dann durch den Obstgarten, der Himmel mag wissen, wohin. Ich bin ihm niemals gefolgt - das wäre zu indiskret gewesen. Er war ebenso zu seinen Abenteuern berechtigt wie jeder andere auch.«
»Wann haben Sie ihn aus dem Fenster steigen sehen?«
»In der Nacht, bevor Sie mich festnahmen. Es war ungefähr halb zwölf. Ich sah ihn nicht zurückkommen, aber ich beobachtete einen Mann, der ihm nachging. Ich habe ihn natürlich nicht so genau gesehen, daß ich sagen könnte, wer es war, oder daß ich ihn unter zwanzig anderen herausfinden könnte. Auf jeden Fall bin ich ihm nicht nachgegangen, weil mich sein Haus mehr interessierte. Ich vermutete schon, daß er in irgendwelche Schwierigkeiten geraten würde. Nun, haben Sie meine Mitteilungen interessiert?«
»Natürlich. Haben Sie nicht noch eine Vorstellung von der Größe des Mannes, der Mr. Merrivan folgte?«
»Er war klein«, erwiderte Scottie, der selbst über ein Meter achtzig maß.
»Etwa eins fünfundfünfzig?«
»Das könnte stimmen. Aber vielleicht war er noch kleiner. Ich möchte fast sagen, daß er Ihnen kaum bis zur Schulter reichen würde. Aber das ist sehr schwer zu beurteilen, besonders nachts. Ich bemerkte den Mann schon, bevor Merrivan herauskam. Die Stämme im Garten sind mit weißem Kalk bestrichen, und ich sah, wie er an einem Baum vorbeiging. Das beunruhigte mich ein wenig. Ich war natürlich nur auf meine eigene Sicherheit bedacht und schlich ihm deshalb nicht nach. Dann erschien Merrivan und nahm den Weg, den ich Ihnen schon beschrieben habe. Er war verschwunden, bevor der andere Mann, der ihn im Obstgarten beobachtete, sich rührte. Dann sah ich ihn wieder im Mondschein auftauchen. Ich hatte den Eindruck, daß er ihm nicht zum erstenmal nachspürte - vielleicht hatte er auch einen guten Grund dafür.«
»Ihre Aussagen lassen den Fall in einem ganz anderen Licht erscheinen«, meinte Andy nachdenklich. »Und wenn ich die Wahrheit sagen soll, Scottie, so war ich selbst bemüht, einen solchen Gesichtspunkt zu finden. Das gibt 'uns wenigstens einen Anhalt. Haben Sie denn nie etwas von einer Skandalgeschichte im Ort gehört?«
»Ich kümmere mich nicht um solche Dinge. Ich habe mich nur am nächsten Morgen im Golfklub unter den Damen umgesehen, aber ich konnte keine entdecken, die einen Mann von Geschmack und Urteilskraft irgendwie hätte begeistern können.«
Andy überlegte eine Weile.
»Ich weiß nicht recht, was ich mit Ihnen machen soll, Scottie. Sie könnten mir von großem Nutzen sein, aber natürlich können Sie hier nicht Ihre alte gesellschaftliche Rolle weiterspielen. Immerhin bin ich froh, Sie wiederzusehen, obwohl es gegen das Gerechtigkeitsgefühl geht, daß Sie frei herumlaufen. Aber was soll ich nun mit Ihnen anfangen? Vielleicht nehmen die Nelsons Sie in ihrem Hause auf - ich weiß allerdings nicht, wie Mr. Nelson darüberdenkt.«
Er fügte noch hinzu, daß die Tochter sicher nichts dagegen einzuwenden habe, woraus Scottie sogleich folgerte, daß Andy zum mindesten Stellas Bekanntschaft gemacht haben mußte.
»Warten Sie hier einen Augenblick, während ich hinübergehe und lesen Sie meine Korrespondenz nicht, wenn Sie es vermeiden können.«
Scottie war empört und protestierte. Aber Andy lachte nur.
Stella, die glücklich war, wieder zwei tüchtige Dienstboten zu haben, arbeitete draußen im Garten, als Andy durch das Tor trat. Sie zog die Handschuhe aus und begrüßte ihn.
»Stella, ich möchte Sie um einen Gefallen bitten. Eben ist ein alter Freund von mir angekommen, den ich nicht gut im Gästehaus unterbringen kann. Aber seine Hilfe und sein Beistand wären mir sehr erwünscht.«
»Warum kann er denn nicht im Gästehaus wohnen?« fragte sie erstaunt.
»Nein, das geht wirklich nicht. Es ist nämlich Scottie - Sie erinnern sich doch noch an ihn?«
»Der Professor? Ich dachte, der säße im Gefängnis.«
»Es lag ein Justizirrtum vor«, erklärte Andy ruhig. »Er wurde freigesprochen. Könnten Sie ihn nicht in Ihrem Haus aufnehmen? Ich weiß, daß ich eine ungewöhnliche Bitte ausspreche, denn Scottie ist zweifellos ein Verbrecher. Aber ich verspreche Ihnen, daß er Sie nicht enttäuschen oder Ihnen gar das Silber stehlen wird. Vor allem aber müßten wir Ihrem Vater eine glaubhafte Erklärung geben.«
Sie überlegte.
»Wenn mein Vater wirklich davon überzeugt werden könnte, daß es ein Justizirrtum war - ich meine, daß er nur
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