0203 - Um Mitternacht am Galgenberg
sie nicht in die Reihe bringen, da lief einfach alles durcheinander. Vielleicht wurde es besser, wenn er im Dorf mit dem Pfarrer sprach.
Tiefer im Tal wurde der Weg wieder matschig. Oft rutschte der Rover auch wegen der zu hohen Geschwindigkeit, darum jedoch kümmerte sich der Reporter nicht. Er wollte so rasch wie möglich sein Ziel erreichen. Selten in seinem Leben war er so halsbrecherisch gefahren. Auch nicht damals im Libanon, als er von feindlichen Stellungen unter Feuer genommen wurde und mit einem halbzerstörten Sanka die eigenen Linien erreichte.
Die Kurven wurden enger, je tiefer er kam. Ty dachte nicht daran, mit der Geschwindigkeit herunterzugehen. Und er hoffte darauf, dass kein Gegenverkehr herrschte.
Die ersten Felder. Karg, wie verloren lagen sie unter dem dunkelblauen Nachthimmel. Die Bauern, die hier anbauten, verdienten kaum das Existenzminimum. Elektrisches Licht gab es in diesem Bergdorf nicht. Wer Licht hatte, der holte die Kraft aus einem eigenen Generator. Da so etwas Geld kostete, gab es im gesamten Dorf nur drei Stromerzeuger.
Die Hauptstraße war ebenfalls nicht asphaltiert, jedoch besser zu befahren als die kurvigen Bergstrecken. Die herumliegenden Steine zeigten jedenfalls nicht die Größe eines Kinderkopfes, wie es weiter oben oft der Fall gewesen war.
Er musste einfach mit dem Pfarrer reden, und die späte beziehungsweise frühe Stunde kümmerte ihn dabei nicht.
Der Pfarrer wohnte nahe der kleinen alten Steinkirche. Von der etwas breiteren Hauptstraße führte im spitzen Winkel eine enge Gasse ab, die in einen Platz mündete. Dort stand die Kirche und auch der kleine Anbau, in dem der Geistliche zwei Zimmer hatte.
In der Gasse lag die Dunkelheit wie schwarze Tinte. Die Scheinwerferbahnen rissen helle Tunnels hinein. Das Motorengeräusch dröhnte von den Hauswänden wider. Dass Ty über eine Treppenstufe fuhr, merkte er nicht einmal. Er kümmerte sich nicht darum, als der Wagen plötzlich einen Schlag bekam.
Auf dem kleinen Vorplatz bremste er so stark, dass Kies nach allen Seiten wegspritzte.
Sekundenlang blieb er hinter dem Lenkrad sitzen, ohne sich zu rühren. Automatisch schaltete er die Scheinwerfer aus. Es wurde dunkel. Wie ein Tuch umgab ihn die Finsternis. Seltsamerweise fürchtete er sich davor. Nach diesem Erlebnis in den Bergen war einfach alles anders geworden. Er rammte den Wagenschlag auf und verließ beinahe fluchtartig das Fahrzeug.
Den Weg zum kleinen Pfarrhaus kannte er. Der Geistliche selbst hatte ihn angelegt. Graue Steine endeten direkt vor der schwarzen Holztür. Als Klingelersatz diente ein Klopfer aus Gusseisen. Ihn betätigte der Reporter sehr heftig.
Dumpf hallten die Schläge durch das Pfarrhaus. So laut, dass sie fast einen Toten erweckt hätten. Da der Pfarrer lebte, hörte er auch die Schläge. In das Klopfen schallte seine Stimme. »Ich komme gleich. Einen Moment, ich muss Licht machen!«
Aus dem Moment wurde eine Zeitspanne von 15 Sekunden. Quietschend öffnete sich die Tür. Der Pfarrer stand auf der Schwelle. In der Hand hielt er ein Windlicht. Ein Glastrichter schützte die ruhig brennende Flamme. Der Geistliche erschrak. »Sie?« fragte er erstaunt.
»Ja, ich. Lassen Sie mich herein, bitte.«
Der Pfarrer streckte den Arm aus, damit das Gesicht des Reporters in den Schein geriet. Er sah einen ziemlich abgehetzten Mann mit schwarzen Haaren und einem Schnauzer, der buschig auf der breiten Oberlippe wuchs. In den Augen lag Furcht. Dieser Reporter musste etwas Schreckliches erlebt haben, das war dem Geistlichen sofort klar.
»Kommen Sie herein, Monsieur.«
»Ja, danke.«
Im Haus war es warm, obwohl der Ofen nicht mehr brannte. Er strahlte aber noch Wärme ab. Der Pfarrer entzündete drei Kerzendochte und bat seinen späten Gast, auf einem einfachen Holzstuhl Platz zu nehmen.
»Danke«, sagte der Reporter und ließ sich fallen. Er winkelte die Arme an und stützte sein Gesicht in beide Hände.
Der Geistliche ließ ihn einige Zeit in Ruhe. Die Stille wurde nur durch das heftige Atmen des Reporters unterbrochen. Schließlich senkte Ty Everett seine Hände und legte sie flach auf den Tisch. »Sagen Sie, Herr Pfarrer, halten Sie mich eigentlich für normal?«
»Ja.«
»Das ist gut, denn mittlerweile zweifele ich selbst an meinem Verstand. Ich habe in dieser Nacht einen Mord begangen.«
Der Pfarrer trug eine Brille mit runden Gläsern. Sein Gesicht zeigte schon die scharfen Linien des Alters. Nach Tys Worten atmete er tief durch, nahm die
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