0207 - Der Mann, der nicht sterben konnte
Stelle am Körper weh. Ich verzog das Gesicht und sah die zahlreichen Pflaster, die Schürfwunden verdeckten. Auch meine Stirn zierte so ein Ding, und die blauen Flecke kamen erst jetzt richtig zum Vorschein. An manchen Stellen schimmerten sie sogar grün und hatten sich wie Masern ausgebreitet. Ich schlich förmlich ins Bad. Dort stellte ich mich unter die Dusche. Vielleicht halfen die heißen Strahlen, meine Muskulatur ein wenig aufzulockern.
Ich hätte nach nebenan gehen können, um zu frühstücken Dann hätte Shao mich anschließend wieder ins Bett gesteckt, und das wollte ich auf keinen Fall. Es war einfach zu schönes Wetter, um zu Hause zu bleiben.
Der Himmel über London war klar. Eine blasse, winterliche Bläue spannte sich über sämtliche vier Himmelsrichtungen. Ein Tag, wie er im Buche stand. Nein, da hielt mich nichts in der Wohnung. Außerdem konnte ich die Besorgungen machen, zu denen mir ansonsten die Zeit fehlte. Ich brauchte mal wieder ein paar Hosen und Hemden. Und eine neue Kombination wollte ich mir auch zulegen. Zum Glück konnte ich es als Spesen abbuchen, da bei meinen Einsätzen genügend Kleidung verdorben wurde.
Das Ankleiden, sonst eine Sache von Sekunden, dauerte diesmal Minuten. Ich mußte mich drehen und wenden, was nur schwerlich gelang. Als ich in die Hose stieg, setzte ich mich auf einen Stuhl. Ich hatte sie soeben hochgezogen, als das Telefon schrillte.
In meiner Wohnung befinden sich zwei Apparate. Einer direkt am Bett. Bei ihm hob ich ab und dachte wirklich, daß es sich um einen Kontrollanruf aus dem Büro handelte.
»Ich bin nicht da«, meldete ich mich.
»Das höre ich, mein Junge.«
Ein Grinsen flog über mein Gesicht. Es gab nur eine, die zu mir »mein Junge« sagte. Das war Sarah Goldwyn, die Horror-Oma. Von ihr hatte ich wirklich lange nichts mehr gehört. Unser letztes gemeinsames Abenteuer hatte uns nach Wales geführt, wo wir gegen einen alten Druidenfluch kämpften.
»Sarah Goldwyn, Schrecken aller Werwölfe«, sagte ich, »was kann ich für Sie tun?«
»Ich hörte, Sie sind krank, mein Junge.«
Ich verdrehte die Augen. »Hat sich das schon bis zu Ihnen herumgesprochen?«
»Ja.«
»Und wer war Ihr Informant?«
»Ein gewisser Inspektor Suko.«
»Aha. Was hat er denn gesagt?«
»Daß Sie auf höheren Befehl im Bett liegen müssen. So lauteten seine Worte.«
»Ich war noch nie ein guter Befehlsempfänger.«
»Heißt das, daß Sie nicht mehr im Bett liegen?«
»Genau, ich bin soeben aufgestanden.«
»Das ist allerhand. Ich werde sofort Ihren Chef…«
»Aber Sarah, ich bitte Sie. Sie wollen mich doch nicht verpetzen.«
Da lachte sie. »Eigentlich nicht. Ich hatte mir vorgenommen, mal mit Ihnen ein wenig zu plaudern. An sich heute abend, deshalb rief ich an. Aber wenn sie krank sind…«
»… können wir die Plauderei auch auf den Morgen vorverlegen, teure Freundin.«
Einen Moment war es still. Ich hörte ihr Atmen. Dann sagte sie:
»Soll das heißen, daß ich zu Ihnen komme?«
»So ähnlich, wobei ich einen besseren Vorschlag habe. Wir könnten uns in einem netten Café treffen, denn ich habe noch nicht gefrühstückt, und mein Magen hängt ziemlich weit unten.«
»Laden Sie mich ein?« erkundigte sich Sarah Goldwyn.
»Auch das.«
»Und Sie wollen sich tatsächlich mit einer alten Schachtel an einen Tisch setzen?«
»Ich habe das Gefühl, daß die alte Schachtel jünger ist als manch zwanzigjähriges Wesen.«
»Sie Schmeichler.«
»Und noch eins«, sagte ich im Verschwörerton. »Zu niemandem ein Wort. Ich soll mich nämlich zu Hause aufhalten und muß zusehen, daß mich auch Shao nicht entdeckt, wenn ich meine Wohnung verlasse. Sie ist der heimliche Aufpasser.«
»Ich schweige wie ein Grab«, gab Lady Sarah dumpf zurück.
»Und wo sollen wir uns treffen?«
»Schlagen Sie etwas vor?«
»Ich kenne da ein kleines Café am Trafalgar Square. Es heißt Chez Mimi und ist im französischen Bistrostil aufgemacht.«
»Dort kriege ich keinen Parkplatz.«
»An der National Gallery können Sie doch parken.«
»Danke für den Tip.«
»Okay, mein Junge. Einer wartet auf den anderen. Bis später dann.«
Ich war einverstanden.
Da ich noch die Schlafanzugjacke trug, mußte ich mich erst umziehen. Ich schlüpfte in mein Hemd, was gar nicht so einfach war, zog einen Pullover darüber und nahm die gefütterte Lederjacke vom Haken. Meine Waffen hatte ich ebenfalls nicht vergessen.
Kreuz, Beretta und Dolch fanden ihren gewohnten Platz.
Wie ein Dieb
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