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Osiris Ritual

Osiris Ritual

Titel: Osiris Ritual Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Mann
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London, Februar 1902
    1
    George Purefoy war spät dran.
    Der junge Reporter eilte mit gezücktem Notizblock die Straße hinunter.
Immer wieder wich er den anderen Passanten aus, die ihn beunruhigt
beobachteten, wie er einem panischen Tier gleich vorbeihetzte, als wäre ihm
eine unsichtbare Hundemeute auf den Fersen. Der schneidende Wind peitschte ihm
die blonden Haare in die Augen. Sein Anzug war verknittert, und zu allem
Überfluss begann es auch noch zu regnen. Dies war der bislang bedeutendste
Auftrag in seiner Karriere, und es sah ganz danach aus, als sollte er gründlich
schiefgehen.
    Purefoy sprang um einen roten Briefkasten herum, wäre beinahe mit
einem älteren Gentleman, der einen Zylinder trug, zusammengeprallt, und raste
endlich um eine Biegung der Straße. Ein Stück voraus erkannte er nun das Albion
House, Lord Henry Winthrops Heim. Ein heller gelber Schein fiel aus den
Fenstern auf die Straße, und bereits aus gut dreißig Schritt Entfernung konnte
man den Lärm der Party hören, eine Kakophonie menschlicher Stimmen, die den
sonst so stillen Londoner Abend störte.
    Purefoy lief langsamer, um wieder zu Atem zu kommen. Er rang einen
Moment um seine Fassung, strich sich das Jackett glatt und rückte die Krawatte
zurecht. Kleine Regentropfen spritzten ihm ins Gesicht. Immer noch trafen Gäste
vor dem großen Haus ein. Er kam zwar eindeutig zu spät, hatte aber offenbar das
Hauptereignis noch nicht verpasst. Das hoffte er jedenfalls, denn sein weiterer
Werdegang als Reporter hing davon ab.
    Purefoy war aus der Redaktion quer durch die Stadt hierher geeilt,
um dem wichtigsten gesellschaftlichen Ereignis des Jahres beizuwohnen: der
Rückkehr des Forschers und Philanthropen Lord Henry Winthrop von seiner
Expedition nach Ägypten. An diesem Abend sollte auch seine bedeutendste
Entdeckung der Öffentlichkeit vorgestellt werden: die mumifizierten sterblichen
Überreste eines alten thebanischen Herrschers. In den letzten Wochen hatte es
um die erfolgreiche Expedition nicht zuletzt deshalb viel Aufhebens gegeben,
weil Winthrop behauptet hatte, bei der Mumie handele es sich um ein
einzigartiges Exemplar. Sie sei äußerst kostbar ausgestattet und trage
angeblich seltsame Abzeichen, die sämtlichen Experten im British Museum, mit denen
sich der Forscher bisher beraten hatte, völlig unbekannt seien. Der Fund war
das Stadtgespräch in London, und an diesem Abend wollte Winthrop vor
handverlesenem Publikum den vor langer Zeit verstorbenen König aus den Bandagen
befreien.
    Sehr zum Leidwesen seiner Reporterkollegen war ausgerechnet Purefoy
auserwählt worden, um für die Times über das Ereignis
zu berichten. Dies hatte er seinem unlängst erschienenen aufsehenerregenden
Beitrag über die Wiedergängerseuche zu verdanken, eine Krankheit aus Indien,
die schon vor Weihnachten in den Elendsvierteln ausgebrochen war. Darin hatte
er auch die Absicht der Regierung angeprangert, der Bevölkerung die Tatsache zu
verheimlichen, dass die Krankheit immer noch ungehindert in London grassierte.
Natürlich war er an diesem Abend früh genug aufgebrochen, hatte zuvor eigens
seinen besten Anzug ausgewählt und einen nagelneuen Notizblock vom Stapel genommen.
Dann hatte jedoch ein paar Straßenecken vor dem Ziel die Omnibahn bebend angehalten,
und unter den Fahrgästen hatten Gerüchte die Runde gemacht, ein Pferd sei
durchgegangen, der Wagen sei umgestürzt, und die Ladung aus Lumpen und Knochen
blockiere vor ihnen die Straße. Purefoy hatte es sowieso nicht mehr weit gehabt
und nicht darauf warten wollen, dass die Ingenieure die Fahrbahn räumten, weil
er dann mit Sicherheit zu spät gekommen wäre. So hatte er die Sache selbst in
die Hand genommen und den restlichen Weg zu Fuß zurückgelegt. Als er endlich
unbehaglich, durchnässt und mit Verspätung eintraf, bekam er ernste Zweifel, ob
der Auftrag am Ende nicht doch eher ein Fluch als ein Segen war.
    Purefoy ging schneller. Zu beiden Seiten der breiten Straße ragten
Herrenhäuser auf. Dieser Bezirk Londons war ihm ebenso
unvertraut wie die Elendsviertel, über die er gewöhnlich berichtete. Die
Bewohner der riesigen Villen bewegten sich in gesellschaftlichen Kreisen, zu
denen er keinen Zutritt hatte. Er war recht nervös, da er sich nun unter
solchen Gentlemen, Lords und Ladys behaupten musste. Zugleich war er auch
gespannt, was Lord Winthrop aus dem Nahen Osten

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