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0207 - Der Steinriese erwacht

0207 - Der Steinriese erwacht

Titel: 0207 - Der Steinriese erwacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf Michael
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wirbelten. Was sollte er tun? Die Luft im Inneren des Grabes mußte den Menschen darin dem Erstickungstode weihen.
    Zurücklaufen ins Dorf und Hilfe holen, war sein erster Gedanke. Aber er verwarf ihn wieder. Wer von den Einheimischen würde den Mut aufbringen, ihm auf den Gottesacker zu folgen, wo die Gespenster den Ringelreihen tanzten.
    Eine magische Formel. - Er konnte die Kräfte der weißen Magie zum Einsatz bringen. Aber auch das wäre zu zeitaufwendig und daher vergeblich. Denn der Boden, auf dem die fluchbeladenen Gerippe getanzt hatten, mußte erst entsühnt werden. Das alles kostete sehr viel Zeit, aber anders waren die Sprüche, die Professor Zamorra die Kraft geben, den Stein zu heben, unwirksam.
    »Na, macht schon!« kam es von drinnen und die Stimme drückte Verzweiflung aus. »Verneigt euch dreimal gen Mekka, sprecht das Wort ›Mutabor‹, und dann weg mit dem Sargdeckel!« Ein krampfhaftes Husten beendete den Satz.
    Aber Professor Zamorra zuckte zusammen. Nicht wegen der Verbeugungen gen Osten oder dem Wort, mit dem sich im Märchen der Kalif in einen Storch verwandelt.
    Ihm war ein einfaches metaphysisches Experiment eingefallen, das sie in abgewandelter Form schon als Kinder geübt hatten. Zwei Mann legten damals für eine kurze Zeit die Hände auf den Kopf ihres gleichaltrigen Kameraden und drückten mit aller Kraft darauf. Dann, unmittelbar darauf, war es ihnen möglich, dessen gesamtes Körpergewicht mit jeweils zwei Fingern emporzuheben.
    Der Professor hoffte, daß dieses Experiment auch bei dem steinernen Sargdeckel gelingen würde.
    Mit wenigen Worten hatte er seine Assistentin über sein Vorhaben informiert. »Alles klar, Chef«, nickte Nicole verstehend.
    Beide legten die Handflächen auf den Steindeckel des Sarkophages, in dem es beängstigend röchelte. Sie hatten die Augen geschlossen, während sie mit voller Kraft die Hände auf den Stein preßten. Mit jeder Faser ihres Denkens versuchten sie, sich zu konzentrieren, während Carsten Möbius im Inneren mit dem Erstickungstode kämpfte.
    » Jetzt! « kommandierte Professor Zamorra.
    Vier Hände griffen zu und wie von Geisterhand hob sich der schwere Stein, schwebte, fast wie mühelos gehalten, über dem geöffneten Grab. Unerträglicher Gestank drang nach draußen
    Da! Wie das Teuf eichen aus dem Kasten sprang eine schlanke Gestalt aus dem Sarge. Keine Sekunde zu früh. Denn fast im gleichen Augenblick hatte die metaphysische Magie ihre Gewalt verloren.
    Der schwere Sargdeckel entglitt den Händen des Parapsychologen und seiner Assistentin und donnerte zurück auf das Grab.
    Vom Glockenturm in der fernen Dorfkirche läutete dumpf die Glocke. Aber der Spuk, der Spuk war vergangen, noch bevor die Geisterstunde begann.
    ***
    Die Gestalt sah aus wie ein gerupfter Kampfhahn. Der blaue Jeans-Anzug war nur noch in Fragmenten erhalten, aus mehreren Schürfwunden sickerte Blut.
    Nur das Gesicht hatte augenscheinlich nichts abbekommen. Und Professor Zamorra, der den Charakter eines Menschen mit fast unfehlbarer Genauigkeit aus den Gesichtszügen ablesen konnte, er wußte, daß er es hier mit einem angenehmen Zeitgenossen zu tun hatte.
    Eine eigenartige Wärme wohnte in den braunen Augen, die einen seltsamen Kontrast zu der eher blassen Gesichtsfarbe abgaben. In den Zügen des jungen Mannes lag etwas Grüblerisches, etwas Vergeistigtes. Wie ein Schleier lag das lange, dunkle Haar über seinem Kopf.
    Professor Zamorra fühlte sich etwas an Michael Ullich erinnert, den jungen Versicherungsagenten, mit dem er im unwegsamen Dschungel am Rio Negro gefährliche Abenteuer erlebt hatte. Fast die gleiche kräftige Statur. Aber dennoch gewaltige Unterschiede. Ullich war ein Typ wie Jung-Siegfried, einer von denen, die mit der Kraft ihrer Arme über ihre Gegner triumphierte. Aber dieser Mann hier, er schien zwar keine Begegnung zu fürchten, jedoch die Schwierigkeiten mehr mit der Geschicklichkeit des Geistes als mit der Kraft seiner Arme bekämpfend.
    »Ich danke ihnen für das, was sie für mich getan haben!« sagte die Gestalt, die gerade eben Atem geschöpft hatte. Sie hielt Professor Zamorra die Hand hin. »Mein Name ist Möbius. Carsten Möbius. Aus Deutschland. Sie können mich ruhig bei meinem Vornamen nennen, das ist in meinen Kreisen so üblich!«
    Professor Zamorra schlug herzhaft in die dargebotene Rechte. Ja, das mußte ein Student oder so etwas sein, denn nur in diesen »Kreisen« war das Duzen sofort üblich.
    »Zamorra!« stellte er sich vor.

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