0207 - Der Steinriese erwacht
fühlen. Und darum schlug er mit aller Kraft zu.
Fast schien es, als sollte es ihm gelingen, die Scharen der Toten zu durchbrechen.
Hinter einer Totengruft knirschte der Puck wütend mit den Zähnen. Der Gegner war stark, stärker als angenommen. Seine Gedanken waren so friedlich gewesen. Und nun wehrte er sich wie ein verwundeter Wolf.
Seine Gedankenbefehle peitschten die Toten vorwärts. Das Opfer durfte nicht entkommen. Nie war die Gelegenheit so günstig gewesen, den jungen Mann, der sich für das Haus des Meisters interessierte, ein für alle Mal aus dem Wege zu räumen.
Nun aber sah es so aus, als würde die wie ein verwundeter Eber tobende dunkelhaarige Gestalt das freie Feld gewinnen.
Und der Kobold hatte keine Möglichkeit, diesem Sterblichen in dieser Nacht noch einen zweiten Zauber in den Weg zu stellen. Er war nicht der Meister, sondern nur einer der geringen Waldgeister aus dem Gefolge des Elbenherrschers. Und wer nicht zu den Großen auf dem Gebiete der Zauberkunst gehört, der ist gewissen Gesetzen unterworfen, die dem Sterblichen zwar absurd, den Wesen der Geisterwelt aber völlig logisch erscheinen.
Schaffte es der Mann aus Deutschland, dem Tanz der Knochen zu entkommen, war er für diese Nacht frei.
Und gerade jetzt schickte sich die Gestalt zwischen den Skeletten an, mit einem schwungvollen Hieb den letzten Knochenmann aus dem Wege zu räumen.
***
Eine aus dem Boden ragende Baumwurzel wurde Carsten Möbius zum Verhängnis. Während er auf den letzten Gegner aus dem Totenreich zusprang, blieb sein rechter Fuß hängen. Mit einem Aufschrei segelte er dem Gerippe entgegen.
Mit seinem ganzen Körpergewicht fiel er auf das Skelett, während seine Arme verzweifelnd rudernd das Gleichgewicht auszubalancieren versuchten.
Vergeblich.
Carsten Möbius begrub im Fallen das letzte der Skelette unter sich, daß ihm den Weg in die Freiheit versperrt hatte. Es knackte häßlich, als die uralten Knochen unter ihm brachen. Und aus den Augenwinkeln bemerkte er, wie sich die ganze Gestalt des Toten auflöste, zu schmutzigem, grauen Staub zerfiel und dahingeweht wurde.
Mit einem Ruck wollte er sich erheben. Aber es war schon heran. Um ihn herum tanzten die Gestalten aus der Grabesnacht ihren grotesken Reigen.
Wie die ekligen Beine einer Spinne näherten sich die knöchernen Hände dem Deutschen. Carsten stöhnte auf, als jetzt unzählbare Knochenhände sich in seiner Kleidung verkrallten, wie Schraubstöcke um seine Arme fesselten und ihn an jeglicher Bewegung hinderten.
Keine stählerne Kette, keine hänferne Fessel konnte fester sein als der Griff der Toten, der ihn jetzt ereilte.
Ein Schrei, der nichts Menschliches mehr an sich hatte, drang aus seiner Kehle!
***
»Ich habe recht gehabt!« murmelte Professor Zamorra, als er sich dem Friedhof näherte. Von weitem sah er schon die Schar der Toten, die irgend etwas umtanzten.
Und der fürchterliche Schrei, der jetzt die Nacht durchzitterte, sagte dem Meister des Übersinnlichen, daß hier ein Mensch sich in höchster Todesgefahr befand.
Wer mochte wissen, welchen Unfug der Spuk aus dem Jenseits schon mit seinem Opfer getrieben hatte.
Professor Zamorra trieb sich zu höchster Eile an.
Jede Sekunde konnte entscheidend sein.
***
Der Puck triumphierte. Seine Rechnung war aufgegangen. Die Mächte der Nacht hatten den Sieg davongetragen.
Der Meister würde zufrieden sein.
»Nehmt ihn mit Euch! Macht mit ihm, was ihr wollt! « Befehlend trafen seine geistigen Ströme das, das den Toten für diesen Augenblick das Leben wiedergab.
Verstanden sie ihn?
Der Kobold machte sich darüber keine Gedanken. Denn er wußte, daß die Toten, wenn sie im Unfrieden gestorben sind, die Lebenden hassen und sie zu sich herabziehen möchten in ihr unheimliches Reich. Und die Totengebeine, die sich auf seinen Ruf aus dem Grabe erhoben hatten, waren samt und sonders ohne Gebet und Segen aus dem Leben geschieden. Denn die, welche den ewigen Frieden gefunden haben, sie erheben sich nicht wieder aus dem Schlafe der Ewigkeit. Nur denen, die sich die Gnade des Allerhöchsten durch ihre finsteren Taten in ihrem Leben verscherzt haben, ist es bestimmt, zu wandeln bis zum jüngsten Tage.
Die Knochengestalten hatten Carsten Möbius gepackt. Ihre dürren Knochenfinger rissen den sich windenden Jungen empor, hoben ihn mit unbegreiflichen Kräften über ihre blanken Schädel. Verzweifelt wehrte sich Möbius gegen die ihn fesselnden Griffe, vergebens warf er seinen Körper hin und
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