0211 - Die Nacht in der Schreckensburg
hatten sie die letzte Stufe hinter sich gelassen und standen auf einer ebenen Fläche. Zumindest nahmen sie es beide an, weil sich so schnell nicht unterscheiden ließ, ob es nicht doch wieder eine Schräge war, die weiter nach unten führte.
»Jetzt geht das schon wieder so weiter«, knurrte Zamorra mißmutig. »Mir geht’s einfach nicht in den Kopf, daß hier jemand Wege angelegt hat, auf denen er ein halbes Jahr braucht, um an sein Ziel zu gelangen… so verrückt können auch die alten Rittersleut’ anno Piependeckel nicht gewesen sein!«
Kaum ausgesprochen, hatte das letzte kurze Gangstück sein Ende gefunden. In der Dunkelheit hatte Zamorra dieses Ende nicht einmal erahnt und rammte die Holztür in voller Größe. Er sah nicht nur Sterne, sondern eine ganze Sammlung von Galaxien.
»Himmel, die Berge, der olle Burgherr muß wirklich nicht alle Bananen an der Staude gehabt haben…«
»Gab’s denn damals in Schottland Affen, die diese Bananen verzehrten?« wollte Nicole wissen.
Brummend untersuchte Zamorra die Holztür, die ihm den Weg versperrt hatte. »Wenn das Ding wenigstens angefault wäre und dadurch grün leuchtete…«
Im nächsten Moment hielt er eine Klinke in der Hand, drückte sie probehalber und stieß einen überraschten Pfiff aus, als die Tür unter seinem Druck lautlos in gut geölten Angeln nach innen aufschwang.
Und lichtlos war es auch nicht mehr.
***
Mitten in den Vorbereitungen für die Zeremonie, während der Sanguinus das Blut der Abtrünnigen in sich aufnehmen sollte, zuckten fünf Vampire zusammen. Prastoff, der sechste, gab ein unterdrücktes Stöhnen von sich.
Seine erste Vermutung, Sanguinus, ihr dämonischer Herrscher, habe sich wieder einmal gemeldet, zerschlug sich schon nach den ersten drei Sekunden. Dafür stieg Angst in Prastoff auf, nackte Angst.
In diesem Moment wußte er, daß die beiden Fremden alle weiteren Fallen großzügig umgangen hatten und dabei auf etwas gestoßen waren, das sie niemals hätten finden dürfen. Und daran machten sie sich jetzt zu schaffen!
Keiner konnte es mehr verhindern, auch Sanguinus nicht, wenn der gewollt hätte. Aber der Herr des Blutes meldete sich nicht. Wahrscheinlich wartete er ab, bis es soweit war, das Blut der Abtrünnigen zu kosten.
Prastoff gewann als erster die Fassung wieder.
»Wir können es nicht mehr verhindern, aber nach getanem Werk werden sie wieder nach oben kommen, weil sie glauben, uns damit besiegt zu haben! Wir werden ihnen einen höllischen Empfang bereiten und Rache nehmen, aber darüber dürfen wir nicht vergessen, was unsere Aufgabe ist!«
Die hieß, Tanja Semjonowa für die Blutzeremonie vorzubereiten.
»Weitermachen!« befahl Prastoff den fünf anderen und sah zu, was sie mit der Abtrünnigen machten. Ihre Schönheit konnte jeden Sterblichen becircen, aber zu denen gehörte Prastoff längst nicht mehr, auch nicht die anderen Vampire, die die Abtrünnige jetzt zum Altar zerrten, um sie dort festzubinden.
Und dann fühlte Prastoff den bohrenden Schmerz, der durch sein kaltes Vampirherz ging. Der Schmerz, der seinen Ursprung aus den unteren Kellerbereichen nahm. Von dort, wo die beiden Fremden jetzt wüteten…
***
Die Kammer, die Zamorra und Nicole betreten hatten, war nicht lichtlos, aber auch nicht hell. Ein eigenartiges Dämmerlicht herrschte hier, weder Tag noch Nacht.
Schwarze, mit unruhiger Flamme brennende Kerzen schufen dieses Dämmerlicht. Sieben schwarze Kerzen! Und sieben Särge standen in der Kammer aufgereiht.
Unwillkürlich mußte Zamorra an Krakow denken, den Vampir, dem der Höllenfürst sieben Leben geschenkt hatte. Aber bei Krakow hatte es sieben Särge gegeben, aber dieser Vampir, der es Zamorra und seinem Freund Bill Fleming so schwer gemacht hatte, ihn endgültig zu besiegen, existierte doch nicht mehr. Das Amulett hatte ihn in seiner Grotte mitsamt den sieben Särgen vernichtet.
»Sieben Särge…«, murmelte auch Nicole. »Sieben ist doch eine magische Zahl, Zamorra…«
»Und gleichzeitig in diesem Fall der Beweis, daß wir es mit sieben Vampiren zu tun haben… nein - nur noch mit sechs, denn einen habe ich schon von seinem untoten Dasein erlöst.«
»Und deshalb vermodert auch sein Sarg!«
Fauliges Holz schien im Dämmerlicht schwach zu glühen. Einer der sieben Särge war so morsch, als stände er schon seit Jahrzehnten in der feuchten Luft. Als Zamorra mit dem Fuß an eine der Seitenwände stieß, brach er glatt durch. Das Holz war naß und vermodert.
Zamorra
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