0219 - Acht Kugeln für das dritte Opfer
Es war in einer stürmischen Novembernacht 1959, als Tonio Teraldi ermordet wurde. Auf die Spur dieses Verbrechens und seiner Täter kam man erst anderthalb Jahre später, denn die Burschen hatten es ganz geschickt angefangen.
Über Manhattan und seine Wolkenkratzer hinweg tobte ein Herbststurm, wie ihn die New Yorker gewöhnt sind. Schneetreiben, das alle paar Minuten zu eisigem Regen umschlug, herrschte in den Straßen der Downtown. Die Straßenpolizisten trugen ihre Regenmäntel, hatten die Kragen hochgeschlagen und fluchten halblaut vor sich hin. Bei so einem Wetter jagte keine räudige Hündin ihre Flöhe aus dem Fell, die Patrolmen aber mußten ihre Runden marschieren.
Ganz weit unten im Süden, ungefähr auf der Höhe der Einfahrt zum Brooklyn-Tunnel, stapfte ein einzelner Mann durch die Dunkelheit auf einen Hudson-Pier hinaus. Hier, wo keine großen Häuser den Wind abfingen, tobte der Sturm in ungeminderter Heftigkeit über Fluß und Kaimauern hinweg.
Weit draußen auf dem Pier reckte sich das stählerne Gerüst eines Portalkrans hinauf in die undurchdringliche Nacht. Seine Brücke überspannte das Hafenbecken zwischen zwei benachbarten Piers. Das Kranhaus mit seinem Ausleger war am äußersten linken Ende der Brücke mit Tauen nach allen Seiten hin festgezurrt.
Am rechten Ende der Kranbrücke gab es einen Steg von anderthalb Yard Breite und sechsfacher Länge. Er mündete auf die Galerie, die an einem riesigen Speicher entlanglief. Damit sich dieser Steg mit der Brücke des Krans landwärts oder auf den Pier hinaus bewegen konnte, gab es unterhalb der Galerie eine vierzig Yard lange Schiene, in der die Rollen des Stegs liefen. Kranbrücke und Galerie des Speichers hatten eine Höhe von sechsunddreißig Metern über der Kaimauer.
Um hinauf in das Kranlager zu gelangen, gab es nur eine Möglichkeit: Im linken Brückenpfeiler war ein Aufzug, daneben führte die für Notfälle gedachte eiserne Stiege empor, die zusammen einhundertachtundsiebzig Stufen zählte. Die Tür zum Aufzug war abgeschlossen, nur drei Männer vom Kranführungs-Team besaßen den Schlüssel dazu…
Es war wenige Minuten vor Mitternacht, als diese Tür in jener stürmischen Novembernacht aufgeschlossen wurde. Der Schlüssel klirrte, aber das schwache Geräusch ging im Heulen des Windes unter. Ein Mann von mittlerer Größe, aber mit einem Gewicht von wenig unter zweihundert Pfund trat in den Aufzug, zog die Tür hinter sich zu und drückte den Bedienungsknopf. Surrend setzte sich der Lift aufwärts in Bewegung.
Oben angekommen, verließ der Mann den Fahrstuhl und schritt über die windumtoste Brücke hinüber zum anderen Pier, wo der Speicher wie ein riesiges schwarzes Ungeheuer heraufragte. In einer weniger dunklen Nacht hätte der Mann tief unter sich das Wasser des Hudson River im Becken zwischen den beiden Piers schimmern sehen, aber heute verschluckte die Finsternis alles, was weiter als eine Armlänge entfernt, war.
Etwa in der Mitte der Kranbrücke blieb der Mann stehen und bückte sich. Er zog die gefütterten Handschuhe aus und stopfte sie in die Manteltasche. Mit nackten Fingern tastete er im stählernen Gerüst umher. Eine Weile arbeitete er in der pechschwarzen Finsternis, ohne daß er sich auch nur einmal ein Streichholz angerissen hätte, mit kundigen Fingern. Metall klirrte gegen Metall, ein Bolzen quietschte bei der ersten Drehung und die Glieder einer Kette rasselten. Alles in allem brauchte der Mann wohl zwei Minuten, bis er sich wieder aufrichtete und weiterging. Allerdings vergaß er, seine Handschuhe wieder über die Schwielen- und hornhautbedeckten, groben Hände zu ziehen.
Er erreichte das Ende der Kranbrücke und betrat den schmalen Steg, der zur Galerie des Speichers überleitete. Statt eines Geländers gab es hier nur zwei straff gespannte Taue.
Gewand schwang sich der Mann über das Geländer, das an der Galerie, senkrecht zum Brückensteg, entlanglief. Während Kran und Steg aus Stahlträgern oder Eisenplatten bestanden, wurde die Galerie zwar auch von stählernen Trägern gehalten, aber nur von dicken Hozbohlen gebildet, die bei jedem Schritt ein dumpfes Geräusch von sich gaben.
An der flußwärts gelegenen Seite des Speichers gab es eine kleine Tür, fast ganz am Ende der Galerie. Der Mann drückte sie auf und schloß sie hinter sich wieder. Erst jetzt schien er sich der Örtlichkeit nicht mehr so sicher zu sein wie vorher, denn nun zog er eine Taschenlampe hervor und knipste sie an. Es zeigte sich,
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