0219 - Lupinas Sohn
Ausdruck gesehen, und sie kannten sich wirklich seit mehr als zwanzig Jahren, waren befreundet und im gleichen Cricket-Club.
Braddock stieß eine Rauchwolke aus, die ihm für wenige Augenblicke die Sicht auf den Förster vernebelte. Mason ging torkelnd ein Paar Schritte vor und stützte sich auf dem Handlauf des schmalen Trennungstresens ab.
»Mensch, Barry, was ist geschehen?« fragte der Beamte.
»Ich - ich bin mit den Nerven völlig fertig!« keuchte der Förster. »Ich habe was gesehen, das ist…« Er schüttelte den Kopf, hob dann das Gesicht, und Braddock glaubte sogar, Tränen in den Augen des Freundes zu sehen. »Sie hat ihn zerrissen.«
»Wer?«
»Die Bestie!«
»Welche Bestie?«
»Es - es war ein riesiger Bär oder ein Wolf, ich glaube…«
Braddock stand auf. Er hatte mittlerweile gemerkt, daß sein Freund ein sehr entscheidendes Erlebnis hinter sich hatte. Der Revierleiter öffnete den Durchgang innerhalb der Barriere, so daß Mason zu ihm konnte.
»Setz dich erst mal hin«, sagte Braddock und führte den Förster zu einem Stuhl, auf den er sich fallen ließ und dabei den Kopf zurückwarf.
Der Beamte hatte eine Notration. Alter irischer Whisky, der in Situationen wie dieser half. Er flößte dem Förster einen kräftigen Schluck ein. Mason schluckte zweimal und beugte sich nach vorn, wobei er das Gesicht verzog, weil der Alkohol scharf durch seine Kehle rann.
»Geht’s wieder?« fragte Braddock. Das Nicken des Försters fiel schwach aus.
»Dann berichte mal«, sagte der Polizist und zog sich einen Stuhl heran.
Neben dem nassen Mann nahm er Platz. Der benötigte noch einen weiteren Schluck, um reden zu können. Dann erzählte er.
Braddock hörte so gespannt zu, daß er nicht bemerkte, wie die anderen drei Beamten den Revierraum betraten. Er konzentrierte sich voll und ganz auf die Erzählung. Die klang so unwahrscheinlich und horrorhaft, daß es dem Revierleiter kalt den Rücken hinunterlief. Normalerweise hätte er jemand, der ihm solche Dinge erzählte, für einen Spinner gehalten. Hier jedoch dachte er anders. Erstens kannte er Barry Mason lange genug, und zweitens waren in der unmittelbaren Umgebung seltsame Mordfälle geschehen, für die man den einfachen Beamten keinerlei Erklärung gegeben hatte.
»Und?« fragte der Förster. »Was sagst du dazu?«
Braddock hob die Schultern. »Well, was soll man dazu schon sagen? Ist ziemlich unwahrscheinlich, das alles.«
»Sehe ich auch so.« Barry Mason lachte vibrierend auf. »Aber ich habe es mit eigenen Augen erlebt und gesehen. Wirklich, ich schwöre es dir. Du mußt mir glauben.« Mit der flachen Hand schlug Braddock auf den Schreibtisch.
»Das tue ich auch, Barry, verdammt, das tue ich. Und ich ziehe meine Konsequenzen aus deinem Erlebnis.« Bevor der Förster noch etwas sagen konnte, hatte sich Braddock schon vorgebeugt und nach dem Hörer des Telefons gegriffen. Er rief eine Londoner Nummer an. Sie gehörte Scotland Yard!
***
Normalerweise hatte der Mann dünnes blondes Haar. Doch ein guter Friseur hatte es ihm zu einer Dauerwelle gedreht. Die flache Stirn konnte es nicht verbergen und auch nicht das Gesicht mit der langen, etwas abfallenden Nase und dem zum Hals hin weisenden Kinn. Was auf der Oberlippe wuchs, sollte wohl einen Bart darstellen. Über einen seichten Flaum, der zudem noch rötlich schimmerte, kam er jedoch nicht hinweg. Daß der Mann auf den Vornamen Tonio hörte, paßte auch nicht. Der Zuname lautete Trent. Tonio Trent, also. Heimat: Chicago. Beruf: Killer.
Das sagte eigentlich alles über ihn aus. Trent wurde da eingesetzt, wo man besonders brutal vorgehen mußte. Es gab nur wenige Menschen auf der Welt, die sich die Mafia auf Eis legte und für spezielle Aufgaben verwahrte. Trent gehörte dazu. Als Logan Costello, der große Boß aus London, jetzt in der Zwickmühle saß, hatte er Trent angefordert. Er bekam ihn sofort, denn die anderen Mafiafürsten im Ausland wußten inzwischen, daß Logan Costello zu einer wahren Macht geworden war. Während es in den größeren italienischen Städten Machtkämpfe zwischen den einzelnen Familien gab, herrschte Logan Costello allein über London. Er teilte mit niemandem. Wenn jemand versuchte, sich seine Kontrolle zu entziehen, dann schlug er diese Rebellion eisenhart nieder. Zumeist half ihm Dr. Tod dabei, denn Costello war der rechte Arm des Mordliga-Chefs in London, denn hier saß auch der Todfeind der beiden, Geisterjäger John Sinclair.
Nun aber lief der Fall umgekehrt.
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