0219 - Lupinas Sohn
Blick glitt nach draußen. Auch über London hatte dieses schreckliche Unwetter getobt. In einigen Stadtteilen hatte es mittlere Katastrophen gegeben. Überschwemmungen, Unterspülungen durch Wasser, Brände von eingeschlagenen Blitzen verursacht.
Jetzt hatte sich das Unwetter verzogen. Zudem war der Himmel wieder hell, ein verwaschen wirkendes Blaugrau, hier und da mit einigen Wolkenfetzen bedeckt. Die Sonne kämpfte sich allmählich durch. Bis es dunkel wurde und die Nacht sich über das Land senkte, dauerte es noch einige Stunden. Wir konnten eigentlich davon ausgehen, daß sich Lupina in der Nacht mit ihrem Sohn treffen würde. Sehr wahrscheinlich sogar um Mitternacht, denn das ist die Zeit dieser Bestien. Zur Tageswende hockten sie sich manches Mal zusammen, um den Mond anzuheulen, der ihnen die Kraft gab, weiterzuleben. Wir hatten da unsere Erfahrungen und nahmen an, daß es auch diesmal nicht anders sein würde. Da uns bis Mitternacht noch genügend Zeit zur Verfügung stand, wollten wir sie nicht unnütz verstreichen lassen. Zudem war es zwecklos, den Gefangenen noch weiter zu verhören, er würde nichts mehr sagen. Ich griff zum Hörer und bat die beiden Beamten herein, die McIntire gebracht hatten.
Rasch waren sie zur Stelle und nahmen ihn mit. Wieder flankierten sie ihn.
Kurz vor der Tür drehte McIntire seinen Kopf und hob beide Arme in die Höhe. Er drohte uns mit seinen Fäusten.
»Glaubt nur nicht, daß ihr gewinnen könnt!« kreischte er. »Lupina und ihr Sohn werden euch zerreißen!«
Ich gab keine Antwort, auch Suko sagte nichts. Erst als sich die Tür hinter den drei Männern geschlossen hatte, übernahm der Chinese das Wort.
»Es war so, wie wir es uns gedacht haben. Sollen wir noch einmal zu dem Haus fahren?«
»Klar. Wenn sich etwas tut, dann nur da oder in dessen unmittelbarer Umgebung.« Ich stand schon auf und wollte zur Jacke greifen, als sich das Telefon meldete. Suko saß näher am Apparat. Er nahm den Anruf entgegen, der unseren Plan völlig über den Haufen warf…
***
Die Besatzung des Reviers Stanmore war sauer. Kein Wunder, denn man hatte sie bei diesem schrecklichen Unwetter aus den Unterkünften geholt.
Zudem war noch die Mordkommission eingetroffen und hatte zwei Leichen aus dem alten Haus geholt. Jeder der Beamten kannte die Toten. Es war ein Hausmeister-Ehepaar, das dem Viscount of Merrydale den Haushalt geführt hatte. Der Viscount befand sich irgendwo in der Welt und warf sein Geld unter die Leute. Er hatte nicht wissen können, was sich in seinem Landhaus alles abspielte.
Zwei Ermordete! Und vom Tatort nicht weit entfernt ein geheimnisvoller Vorgang, um den der Mantel des Schweigens gehüllt worden war.
Zwei Ereignisse, die irgendwie zusammenhingen. Die Polizisten tappten allerdings im Dunkeln. Man hielt sie wieder einmal für nicht kompetent. Vier Leute zählte die Besatzung. Normalerweise fuhren zwei von ihnen Streife, an diesem späten Nachmittag jedoch nicht. Sie waren alle vier naß wie die Hunde und mußten sich erst einmal umziehen, während draußen noch immer der Regen gegen die Scheiben trommelte und das Land unter Wasser setzte. Als erster war Sam Braddock, der Revierleiter, fertig. Als er den Revierraum betrat, verzog er das Gesicht. Es roch immer noch feucht und muffig. Das Fenster konnte man nicht öffnen, der Regen hätte sonst die Bude überschwemmt. Hinter seinem Schreibtisch nahm Braddock Platz und holte eine Zigarre aus seinem Etui. Eine gute Zigarre liebte er über alles. Er rauchte sie entweder im Revier oder bei sich zu Hause im Keller, weil seine Frau sich schrecklich darüber aufregte, wenn der Rauch die Gardinen einhüllte und sie vergilbte. Als die ersten blaugrauen Wolken gegen die Decke stiegen und es ihm langsam besser ging, hörte er, wie die Eingangstür zugeschlagen wurde. Jemand kam.
Braddocks Gesicht verzog sich. Nicht jetzt noch mal dieses Theater, dachte er, die anderen sollten ihn in Ruhe lassen, zum Henker.
Die Tür wurde aufgedrückt. So wie der Mann ging Braddock hörte es am Klang der Schritte - kannte er sich gut aus. Es war also kein Fremder.
Dann stieß er die Tür zum Revierraum auf.
Eine massige Gestalt stand auf der Schwelle. Die Kleidung war tropfnaß, aus den Haaren rann das Wasser und liefüber das Gesicht des Mannes. Die Nässe machte den Ankömmling zu einer traurigen Gestalt.
Trotzdem konnte Braddock die Angst auf dem Gesicht des Mannes lesen. Noch nie hatte er bei Barry Mason, dem Förster, so einen
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