0231 - Meer der weißen Särge
hatte immer interessiert, was darunter oder dahinter lag.
Der eiserne Ring lud geradezu ein, ihn hochzuheben, was ich auch tat. Ich brauchte nicht einmal viel Kraft einzusetzen, um die Klapptür in die Höhe zu bekommen. Als sie senkrecht stand, bekam sie das Übergewicht und fiel nach hinten.
Ich hatte freie Sicht – und schaute auf Wasser.
Ja, darunter befand sich graues, schmutziges Wasser, allerdings nicht so hoch, daß es den Rand der Klappe erreicht hätte. Zwischen ihm und dem Wasserspiegel befand sich ein etwa kopfhoher Zwischenraum, der mit Atemluft gefüllt war.
Das Risiko, in das Wasser zu steigen, war also nicht sehr groß. Ich konnte immer wieder auftauchen und Luft holen. Zunächst einmal ging ich in die Hocke und leuchtete. Der Strahl verlor sich sehr rasch in der trüben Flut, aber ich glaubte, die Umrisse eines aufrecht stehenden Gegenstandes zu erkennen.
Vielleicht eine Figur?
Jetzt war ich schon so weit gegangen und wollte es genauer wissen. Die Lampe steckte ich weg und tauchte in die brakige Flut.
Sie war nicht sehr kalt, fast angenehm, aber es schwamm viel Dreck herum. Ich sank in die Tiefe, hatte die Beine ausgestreckt und spürte plötzlich Grund unter meinen Füßen. Soeben gelang es mir, zu stehen und dabei den Mund über Wasser zu halten.
Um jedoch die Figur näher kennenzulernen, mußte ich tauchen.
Das tat ich nach zweimaligem Luftholen.
In die Stille hinein glitt ich, kam der Figur näher, deren Umrisse sich allmählich klarer herauskristallisierten, und ich erkannte sie.
Das war Strigus!
Vor mir stand diese widerliche Dämonenabart als Modell, als ein Bildnis, ein Denkmal.
Damit hatte ich nicht gerechnet, schwamm sehr dicht heran und konnte sie mir sogar ansehen.
Strigus sah so aus, wie ich ihn kannte. Halb Skelett halb Eule. Der Schädel schien in der Mitte geteilt zu sein. Die eine Hälfte gehörte einer Eule, die andere bestand nur aus bleichen Knochen.
Ich schwamm so dicht heran, daß ich ihn berühren könnte.
Waren die Knochen nun echt, oder aus Stein nachgebildet? Ich wußte es nicht, und ich kam auch nicht mehr dazu, darüber nachzudenken, denn die Ereignisse überstürzten sich und wurden mir aus der Hand gerissen. Bevor ich mich mit den Flügeln dieser seltsamen Mutation befassen konnte, spürte ich das Ziehen an meinen Füßen.
Es war ein Gefühl, als hätten mich unsichtbare Hände gepackt.
Hände waren es nicht, sondern diese Kraft ging einzig und allein von dem Wasser aus, das den Keller überschwemmt hielt.
Es wurde abgesaugt!
Ein gewaltiger Sog entstand links von mir. Dieser Sog war so stark, daß er auch mich in die Richtung ziehen wollte, und es wäre ihm fast gelungen, wenn ich mich nicht im letzten Augenblick an Strigus festgeklammert hätte.
Die Luft wurde mir knapp. Jetzt hätte ich nach oben schwimmen müssen um einzuatmen, doch ich konnte nicht loslassen, der Sog war einfach zu stark und hätte mich in mein Verderben gezogen.
Wie lange dauerte es?
Mein gesamter Körper schrie nach Luft, doch ich durfte auf keinen Fall loslassen. Das Wasser um mich herum befand sich in Bewegung, der Keller leerte sich. Ich hoffte darauf, daß in einem bestimmten Zeitraum genügend Wasser abfloß, damit ich wieder atmen konnte.
Ich hatte Glück.
Plötzlich lag mein Gesicht frei. Nur noch der Körper wurde hochgeschwemmt, ich atmete tief ein, schaute nach unten und bekam mit, wie immer mehr Wasser den Keller verließ.
Jetzt konnte ich auch wieder die Lampe nehmen und stellte fest, daß ich bis zu den Knöcheln im Schlamm stand.
Aber wo war das Wasser abgelaufen?
Von meiner Position aus konnte ich nichts erkennen. Ein paar Schritte mußte ich schon vorgehen, entdeckte dann das Loch in der Wand, das wirklich riesig war, sah dahinter einen feuchten Felsengang und schritt ihn entlang.
Überrascht blieb ich wenig später stehen. Vor mir lag eine große, unter dem Wasser liegende Höhle, in der sich ein kleiner See angesammelt hatte. Auf ihm schwammen die weißen Särge.
Hier also war ihr Ziel.
Es war ein irgendwie unheimliches Bild. Das dunkle Wasser, vor dem sich die Särge besonders scharf abhoben. Ich wußte ja, womit sie gefüllt waren und bekam ein leichtes Schütteln. Die Decke sowie die Wände des Gewölbes bestanden aus rauhem Gestein, und ich war mir sicher, daß unterhalb des Wasserspiegels ein weiterer Abfluß liegen mußte.
Furcht bekam ich, als ich gegen die Decke leuchtete. Dort hockten gewaltige Schatten. Sie hatten sich im Gestein
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