0238 - Belphégors Rückkehr
Fingernägel auffielen. Diese Frau lebte in Paris, und in einem der großen Kinos der Seine-Metropole hatte auch der Film seine französische Premiere.
Die Frau mit den grünen Fingernägeln ließ sich mit einem Taxi zum Filmpalast fahren. Es war ein großes Gebäude, nannte sich KINOPANORAMA und lag nahe der Avenue de Suffren, nicht weit vom weltberühmten Eiffelturm entfernt.
An diesem lauen Oktoberabend war wirklich der Teufel los. Halb Paris schien sich versammelt zu haben. Hinzu kamen die Touristen, die vom in der Dunkelheit angestrahlten Eiffelturm in die Vergnügungsstätten drängten oder nur einmal das Flair dieser vielbesungenen Stadt kennenlernen wollten.
Dadurch verschlimmerten sie das Chaos noch. Sogar der Taxifahrer stöhnte. Sein Renault war mit Beulen und Rostflecken übersät. Auf der Fahrt zum Kino allerdings war nichts weiter passiert.
»Irgendwann drehe ich bei diesem Verkehr noch einmal durch. Madame, Paris ist längst nicht mehr das, was es einmal war, das kann ich Ihnen sagen.«
»Sie haben recht.«
»Sie kommen aus der Stadt?«
»Ich wohne hier.«
Der Fahrer wedelte mit beiden Händen. »Dann brauche ich Ihnen ja nichts zu sagen.«
Nein, das brauchte er nicht. Die Frau mit den grünen Fingernägeln kannte sich wirklich aus. Aber nicht nur in der realen Welt, auch in der anderen, der Geisterwelt, der nicht meß- und faßbaren Sphäre, war sie zu Hause. Denn die Frau zählte zu den bekanntesten Hellseherinnen und Astrologinnen der Welt.
Es war Madame Tanith!
Wie sie richtig hieß, das hatte sie vergessen. Jeder kannte sie nur unter dem Namen Tanith. Und diejenigen, die sie konsultierten, waren keine Spinner oder Leute, die sich einen Spaß aus dem Besuch machen wollten – nein, zu den Kunden zählten Politiker ebenso wie Kapitäne der Wirtschaft oder bekannte Künstler.
Der Sitz in Paris war gut gewählt. Tanith hatte hier ihr Publikum. Sie konnte schalten und walten, und es kam nur selten vor, daß sie an einem Tag keinen Kunden hatte.
Dabei sah sie nicht aus, wie man sich landläufig eine Hellseherin vorstellt. Natürlich, sie fiel ein wenig auf. Allein wegen ihres roten Haares, das wie eine gewaltige Flut zu beiden Seiten des Kopfes hing. Nur sie allein wußte, daß es gefärbt war, aber das gehörte eben zum Job. Zudem sah es im Schein der Kerzen aus wie gegossenes Kupfer. Und Kerzen brannten immer, wenn sie die Zukunft eines Klienten durchforschte.
Ihr Gesicht hatte einen aparten Schnitt. Es war schmal, die Wangenknochen standen ein wenig hervor, der Mund zeigte eine gewisse Reife, und ihre Augen schimmerten wie zwei dunkle Seen. Immer sehr geheimnisvoll und lockend.
Für diesen Abend hatte die etwa 40jährige Frau eine lockere Kleidung angezogen. Sie trug Jeans, die sich um ihre Beine spannten, einen Pullover mit der Aufschrift einer Universität, und darüber hatte sie eine leichte Strickjacke geworfen, die vorn offenstand. Eine Schultertasche vervollständigte das Gesamtbild.
Sie fuhren schon längst auf der Avenue de Suffren und schoben sich immer weiter vor. Stoßstange an Stoßstange rollten die Wagen. Ein jeder hatte ein Ziel, und kaum jemand würde es mit seinem fahrbaren Untersatz so schnell erreichen. Irgendwann blieb jeder im Verkehr stecken, gab aber nicht auf, fuhr weiter, und so kam es zu einem ewigen Kreislauf, der nicht mehr zu stoppen war.
»Es ist in diesen lauen Herbst- und Frühlingsnächten so«, beschwerte sich der Fahrer. »Da sind die Leute wie verrückt!«
Tanith lachte. »Paris ist eben eine besondere Stadt.«
»Ja, da haben Sie recht. Aber wenn Sie über 20 Jahre lang in dieser Stadt Taxi fahren, wünschen Sie sich manches Mal, in der Provence zu sein, das können Sie mir glauben.«
»Wie lange wollen Sie denn noch fahren?«
»Ach, was sag ich. Meine Kinder studieren. Ich habe dem Sohn angeboten, den Wagen zu übernehmen. Glauben Sie, der hat Lust? Nichts, keinen Bock, sagt er. Ehrlich…!«
»Man kann die jungen Leute eben nicht zwingen.«
»Der studiert Soziologie. Kommt noch so weit, daß wir mehr Soziologen als Arbeiter haben.«
Tanith lachte. »Da sagen Sie was.«
»Wollen Sie eigentlich auch in den Film?«
»Sonst würde ich ja nicht bis zum Kino fahren.«
»Sie hätten ja auch zur Presse gehören können.«
»Nein, nein, ich will mir den Streifen schon ansehen. Pink Floyd ist ja etwas Besonderes.«
»Für mich nicht.«
»Wieso?«
»Ach, ich mag solche Filme nicht. Ich sehe mir lieber die alten Streifen mit Jean Gabin
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