026 - Der Doppelgänger
lernt. Viel Geld ist auch nicht damit zu machen«, meinte Mr. Stark traurig. »Das ganze Geschäft ist durch die Fremden verdorben worden. Es sind zu viele Leute im Handwerk, zu viele Outsider. Es ist hier genauso wie überall - meistens sind es Amerikaner. Warum sie nicht in ihrem Lande bleiben, weiß ich auch nicht. Sie sind aber tüchtig, das muß man schon sagen, obgleich sie uns unser sauer verdientes Brot vor der Nase wegschnappen. Wir haben aber auch glänzende Vertreter - wenn sie nur ein wenig Aufmunterung hätten, ich meine etwas Kapital.« Die Geldschranktür öffnete sich. »So, sehen Sie, das hätten wir wieder einmal gekonnt!«
»Wie - schon offen?« fragte Gordon erstaunt und etwas verärgert. Der Mann, der ihm den Geldschrank verkauft hatte, hatte ihn also tüchtig belogen.
»Jawohl.«
»Leuchten Sie einmal hinein! Donnerwetter, es sind ja kaum noch Zehntausend da!«
Er raffte alles zusammen, was an Banknoten noch im Schrank lag. Plötzlich hob er den Kopf, um zu lauschen, denn es kam jemand die Treppe herunter.
»Machen Sie sich schnell aus dem Staub - es kommt jemand - hier, nehmen Sie das!«
Er steckte dem Einbrecher ein paar Banknoten in die Hand, und im nächsten Augenblick war Stark durch das Fenster verschwunden. Gordon folgte ihm auf dem Fuße.
»Wer ist dort?« fragte eine zitternde Stimme vom Sofa her.
Gordon gab ihm aber keine Antwort. Als Mr. Superbus mit überraschendem Mut auf ihn zueilte, sprang er durch das Fenster.
»Halt!«
Das war Dempsis Stimme.
Gordon sprang auf den Hof hinunter, als im Zimmer zwei Schüsse fielen.
Ein gellender Schrei ertönte. Es mußte jemand schwer getroffen sein. Diana hörte es, sprang aus dem Bett, warf den Morgenrock über und eilte in das Studierzimmer. In der Mitte des Raumes stand Dempsi, und zu seinen Füßen auf dem Boden wand sich in tausend Schmerzen die Gestalt von Julius Superbus.
»Er war ein Opfer seiner Pflicht«, sagte Dempsi ehrerbietig.
Und er hatte nicht unrecht. Mit zehn Zehen war Mr. Superbus nach Cheynel Gardens Nr. 61 gekommen, aber das Schicksal hatte bestimmt, daß er dieses Haus nur mit neun Zehen wieder verlassen sollte, denn eine hatte er bei der Schießerei verloren.
26
Als Diana das Fazit aus dieser ganzen Affäre zog, war sie froh, daß der Doppelgänger entschlüpft war. Der Rest der Nacht war sehr unruhig gewesen. Ärzte kamen und gingen, und das laute Wehgeschrei von Mr. Superbus schallte durch das Haus. Es tat ihr unendlich leid, daß dieser treue Wächter eine Zehe verloren hatte, obwohl es nur eine kleine Zehe war, die er nicht unbedingt zu seinem Lebensglück notwendig hatte. Aber immerhin war es eine Zehe, die bis dahin, wie er immer wieder zwischen seinen Schmerzensausbrüchen erklärte, ein treuer Begleiter durch sein wechselvolles Leben gewesen war.
Ja, er tat ihr wirklich sehr leid, obgleich der Arzt erklärte, daß er jetzt keine Schmerzen mehr habe. Auch hatte der Doktor, der den furchtsamen Charakter von Mr. Superbus nicht kannte, gemeint, Julius sei mehr erschreckt als verletzt worden. Aber sie war froh, daß der Doppelgänger verschwunden war.
Die Schießerei hatte ein sehr angenehmes Resultat gehabt - Dempsi war seitdem sehr kleinlaut geworden, er hatte sie kein einziges Mal mehr seinen »von den Sternen herabgestiegenen Engel« oder sonstwie genannt. Er, der Himmel und Erde geplündert hatte, um ihre Schönheit, ihren Charme und ihre sonstigen Vorzüge zu beschreiben, gab sich jetzt mit ganz gewöhnlichen Gemeinplätzen zufrieden.
»Der arme Wop hat anscheinend noch nie eine Pistole in der Hand gehabt«, meinte Bobby, »und das verfluchte Ding ging los, bevor er merkte, daß er den Abzug berührt hatte.«
»Der arme Wop!« sagte Diana vorwurfsvoll. »Du würdest doch besser den armen Mr. Superbus bedauern!«
Sie hatten schon vor einiger Zeit gefrühstückt, und Bobby war schon auf der Bank gewesen. Mr. Dempsi war ausgegangen.
»Wie hast du eigentlich geschlafen?« fragte er liebenswürdig.
»Schrecklich. Aber Bobby, hast du das Geld bekommen?«
»Ja, glücklicherweise ist die Überweisung deiner Gelder noch am Sonnabend kurz vor Geschäftsschluß erfolgt. Der Direktor hat sich riesig entschuldigt. Ich habe das Geld -hier ist es.«
Er zog ein dickes Paket amerikanischer Banknoten aus seiner Hüfttasche. Sie sah die Scheine nachdenklich an und preßte die Lippen zusammen.
»Ich erhielt eine Telegramm von Gordon aus Inverness.«
»Dann ist er also dort angekommen«, sagte er trocken.
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