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Weinzirl 02 - Funkensonntag

Weinzirl 02 - Funkensonntag

Titel: Weinzirl 02 - Funkensonntag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicola Förg
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1.
    »Das ist jedes Jahr einfach ein Höhepunkt, sozusagen ein Jour fixe
im Allgäu«, hörte Jo ihre Assistentin Patrizia »Patti« Lohmaier gerade sagen.
Patrizia lächelte gezwungen und saß stocksteif da. Sie schien in dem engen
Dirndl kaum Luft zu bekommen, und wegen der Quetschwirkung des Mieders fiel ihr
Dekolleté ungleich imposanter aus als sie es vermutlich geplant hatte. Dabei
hasste Patrizia Dirndl mehr als Fußpilz. Dieses Dekolleté war offenbar das
Einzige, was die anwesenden Herren noch bei Laune hielt.
    Nachdem Jo den Gastraum des Rössle betreten hatte, war das Erste,
was sie wahrnahm, Patrizias flehentlicher Gesichtsausdruck gewesen. Panik
flackerte in ihren Augen, ihr Körper war verspannt. Jo erfasste die Szene mit
einem Blick. Eine Wolke aus Agonie und Aggression schwebte über dem Tisch. Und
die Besatzung just dieses Tisches sollte Patrizia bei Laune halten. Jo sah sich
die Leute genauer an. Sie hatte Erfahrung mit Reisejournalisten und dieser
Haufen verhieß nichts Gutes.
    Dabei hatte sie den Eckartser Gasthof, die »Alp«, mit Bedacht für
die Medienleute ausgewählt. Ein Ort, der eigentlich jedem gefiel und für sich
sprach. Über einem alten Küchenherd hing Omas Unterhose – mit Spitzen verziert,
versteht sich. Kerzen warfen warme Lichtflecken auf die alten Holzbalken. Die
Tische zeigten stolz ihre Narben und Wunden von gut hundert Jahren Bierstemmen
und Karteln. Der Steinboden erzählte von schweren nagelbeschlagenen
Winterstiefeln. Bloß war dieser Inbegriff einer Stube überhaupt nicht alt, nur
ihre Einzelteile. Monatelang hatten die Wirtsleute in Scheunen gefahndet,
Freunde befragt, Balken geschleppt und etwas geschaffen, das so aussah, als
wäre es schon immer so gewesen. Ein bisher unschöner Schuppen war in eine
Allgäuer Bergbauernstube verwandelt worden. Aber auf Patrizias Truppe, die auf
einer Art Empore saß, hatte das offenbar wenig Wirkung.
    Gerhard Weinzirl, Jos Jugendfreund, der in Kempten bei der
Mordkommission arbeitete, saß am Nebentisch und beobachtete ebenfalls die
Szene. Er war, was selten vorkam, rein privat unterwegs. Seine Eltern hatten
Verwandtenbesuch aus Zornheim bei Mainz, und »die Alp« war der perfekte Ort, um
die »Preißn« dahin auszuführen. Gerhard hatte ein paarmal Patrizias Blick
gesucht, aber sie schien zu angespannt, um ihn überhaupt wahrzunehmen. Gerhard
konnte sie gut verstehen, als er den Blick über die Gruppe am Nachbartisch
gleiten ließ.
    An der Stirnseite saß ein Schmuddel-Typ, in dessen Kräuselbart sich
eine Schupfnudel verfangen hatte. Angesichts seiner Wampe, die das T-Shirt mit TUI -Werbeaufdruck nur unzureichend
bedeckte, kam Gerhard zu dem Schluss, dass die Nudel wahrscheinlich als Wegzehrung
für später gedacht war. Daneben kauerte ein Mädel, Marke »Mäuschen«, das sich
wahrscheinlich für die Platzwahl verfluchte. Dann ein Endzwanziger in typischer
Großstadtverkleidung in schwarz und mit einem Gesichtsausdruck, der so
kaltschnäuzig wirkte, dass selbst ein Eskimo aufs Nasereiben verzichtet hätte.
Er wurde flankiert von einer älteren Lady, deren liebstes Tier wohl die
Drossel, respektive die Schnapsdrossel war. Dann folgten auf der Bank zwei
Gestalten, die ganz offensichtlich miteinander techtelten. Jeder trug einen
Ehering, aber dass weder die Ringe noch die Personen zusammengehörten war klar.
Das alles erschien Gerhard schon wie ein Panoptikum der Sonderklasse, aber die
Krönung der Tafelrunde stellte ein Glatzkopf am anderen Ende des Tisches dar.
Er war ein Hüne und hatte unangenehme, tief in den Höhlen liegende
Rumpelstilzchen-Augen, wie Gerhard fand. Schnell streifte sein Blick den Rest:
eine sympathisch aussehende junge Frau und zwei eher unauffällige Männer. Einer
aber begann plötzlich zu strahlen und stand auf. Er war blond, sommersprossig,
sehr schlank. Gerhard wandte den Kopf und sah Jo in der Tür des Gastraumes
stehen. Er fühlte einen Kloß im Hals.
    Jo nestelte an ihrem Rock, auch sie zeigte heute alpenländisch
Flagge und trug ein Dirndl. Ein dickes Winterdirndl zudem. Jo teilte Patrizias
Pein. Sie hatte noch im Auto darüber nachgedacht, auf Kiemenatmung umzustellen,
bevor die Knöpfe abzuspringen drohten. Sie nestelte noch mal am Rock und ging
dann mit Zahnpastareklamestrahlen und großen festen Schritten auf den Tisch zu.
»Grüß Gott meine Damen und Herren, es tut mir außerordentlich Leid, dass ich
Sie heute im Stich lassen musste. Aber Sie waren bei meiner Assistentin mit
Sicherheit in

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