0272 - Gorgonen-Fluch
so, wie du Äpfel und Birnen nicht zusammenzählen kannst, wirken diese verschiedenen Magien nicht zusammen. Höchstens komplementär.«
»Was heißt das?« fragte Nicole.
»Wenn wir schon dabei sind, die verschiedenen Arten der Magie einzufärben, um sie vorläufig einzuordnen, müssen wir uns auch an die Farbenlehre halten. Rot und grün, blau und orange, gelb und violett sind bekanntlich komplernentäre, also gegenüberliegende Farben, die sich gegenseitig ergänzen. Und wenn Schwarze und Weiße Magie gegeneinander arbeiten, dann tun dies auch grüne und rote Magie, violette und gelbe…«
»Irrtum«, bemerkte die Französin. »Schwarz und weiß sind keine Komplernentärfarben. Dein Vergleich hinkt, Professor.«
Franklin Townsend schüttelte den Kopf. »Wenn man euch zuhört, wird man krank im Hirn«, sagte er. »Wie wäre es, wenn ihr euch von der Theorie ab und wieder der Praxis zuwenden würdet?«
Zamorra schmunzelte. »Kennst du denn den Unterschied zwischen Theorie und Praxis?«
»Ich denke schon«, meinte Townsend grämlich.
»Theorie«, dozierte der Professor ungerührt, »ist, wenn man alles weiß und nichts geht. Praxis ist, wenn alles klappt, und keiner weiß warum.«
»Haha«, machte Townsend.
»Das heißt im Grunde, daß wir bisher nur theoretisch im Einsatz waren«, fuhr Zamorra fort. »Nichts funktioniert. Ich komme mit meiner Magie bei der Gorgone nicht an. Das war schön so, als ich sie auf der Yacht gestern abend zu erfassen versuchte. Ich konnte sie nicht erreichen. Jetzt weiß ich zumindest, warum das so war. Unsere Magien verzahnen sich nicht ineinander, also gleiten sie aneinander vorbei.«
»Stimmt schon wieder nicht«, wandte Nicole ein. »Hat sie dich versteinert oder nicht?«
»Das Menschliche in mir, nicht das Magische«, sagte Zamorra. »Da bin ich mir vollkommen sicher. Und so langsam kristallisiert sich in mir die Idee heraus, wie ich dieses kleine Ungeheuer packen kann.«
»Und wie?« wollte Townsend wissen.
»Mit dem Amulett?« fragte Nicole. »Verlasse dich nicht zu sehr darauf, sonst bist du im Ernstfall verlassen.«
»Mit etwas Glück brauche ich das Amulett nicht einmal«, sagte Zamorra. »Es gibt andere Mittel und Wege.«
»Und alle Wege«, sagte Townsend, »führen bekanntlich nach Rom. Da sind wir.«
Der Möbius-Jet setzte zur Landung an.
***
Die Rückfahrt nach Neapel dauerte etwas länger, auch wenn Yani ständig versuchte, das Gaspedal durchs Bodenblech zu treten. Aber auf der Autobahn herrschte jetzt, am Tag, erheblich stärkerer Verkehr, und an den Mautstellen kam es zu längeren Staus. Hinzu kamen die Fahrzeuge der polizia stradale, die erheblich häufiger anzutreffen waren als in der Nacht.
Zamorra entwickelte sich während der Fahrt zum großen Schweiger. Seine Gedanken kreisten um die Gorgonen und um ihre Opfer.
Blutige Tränen…
Damals, im antiken Griechenland, war von blutigen Tränen nicht die Rede. Aber wenn es sie gegeben hätte, wäre dieses Phänomen mit Sicherheit beschrieben worden. Demzufolge mußte es neu sein.
Und bestimmt nicht ohne Bedeutung.
Immer wieder kehrten Zamorras Gedanken zu diesem Punkt zurück. Es war wichtig, das wußte er. Er wußte von Nicole, daß auch er als Statue Blut weinte, aber in ihm gab es keine Erinnerung an den Grund dafür.
Leben?
Stein-Leben, durch das Blut symbolisiert?
Warte, meine liebe Stheno, ich kriege deine kleinen Geheimnisse schon heraus, dachte er, und auch, ob deine Zwillingsschwester ebenfalls auf Raubzug ist oder nicht!
Euryale…
Hatte er nicht Stheno nach Euryale rufen hören? Bedeutete das nicht, daß die dritte der Gorgonen noch schlief? Wehe, wenn sie erwachte! Ein schlangenhaariges Ungeheuer war Zamorra schon fast zviel. Was mochte erst geschehen, wenn auch noch das zweite auf den Plan trat?
Er mußte Stheno aus dem Verkehr ziehen, ehe die mit ihrem telepathischen Geschrei tatsächlich Euryale aufweckte!
Aber ungeklärt blieb bei allem immer noch die Frage nach dem Warum. Warum war Stheno erwacht? Lag es an dem Weltentor-Schock? Warum weinten die Figuren Blut? Warum war ihre Magie so anders, so nicht faßbar für Zamorra?
Als die Silhouette Neapels vor dem Wagen auftauchte, hatte Zamorra zwar noch keine Antwort auf die Fragen, aber einen Plan.
***
»Ich locke Stheno in eine Falle«, sagte er.
»Klar. Nichts einfacher als das«, spöttelte Franklin Townsend. »Du nimmst einen Streifen geräucherten Speck, ein wenig Käse, eine Mausefalle und stellst das alles schön irgendwo
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