028 - Das Monster und die Schöne
meinem Eintritt war die Unterhaltung verstummt.
»Guten Tag!« sagte ich laut und blieb vor dem Wirt stehen. »Einen Grog, bitte!«
Er schüttelte den Kopf. »Fremde bekommen nichts ausgeschenkt«, sagte er mit tiefer Stimme.
Ich lehnte mich an die Theke. »Was habt ihr eigentlich gegen Fremde?«
Ich bekam keine Antwort. Langsam knöpfte ich den Mantel auf und nahm die Kappe ab. »Wenn ich schon nichts zu trinken bekomme, dann darf ich mich doch wenigstens ein wenig aufwärmen.«
»Damit wird es nichts.«
Der Wirt kam hinter dem Tresen hervor und baute sich vor mir auf. Er war um einen halben Kopf größer als ich. Unter seinem blauen Hemd zeichneten sich gewaltige Muskelstränge ab. Auch die vier Männer standen auf und umringten mich.
»Weit sind wir gekommen«, sagte ich spöttisch. »Wo bleibt die berühmte russische Gastfreundschaft? Mir ist kalt, und ich will mich ein wenig aufwärmen. Das ist alles. Dann gehe ich wieder.«
Der Wirt leckte sich über die Lippen und starrte mich nachdenklich an. »Sie können zehn Minuten bleiben.«
Die vier Männer setzten sich wieder.
Ich blieb vor der Theke stehen und sah zu, wie der Wirt den Grog zubereitete. Er schob mir das Glas über den Tresen, und ich fischte das Geld aus der Tasche und gab ihm einen Rubel, den er aber nicht annahm. Unwillkürlich mußte ich grinsen. Ich hatte ihn an seiner wunden Stelle getroffen. Gastfreundschaft war fast etwas Heiliges in Rußland. Für die meisten Russen war es einfach undenkbar, einem Mann, dem kalt war, die warme Stube zu verweigern.
Ich trank den Grog in kleinen Schlucken. »Weshalb habt ihr Angst vor Fremden?«
Der Wirt antwortete mürrisch: »Sie haben ihren Grog bekommen und Sie dürfen sich aufwärmen. Dafür verschonen Sie uns aber mit Fragen, verstanden?«
Ich nickte. Hier kam ich nicht weiter. Ich mußte froh sein, daß es nicht zu einer Schlägerei gekommen war. Vielleicht konnte mir Tanja weiterhelfen.
Es war ruhig in der Schankstube. Die Gäste schwiegen, und der Wirt polierte einige Gläser; nur das Prasseln des Feuers im Ofen war zu hören. Ich trank das Glas leer und stellte es ab. Da hörte ich das Geschrei. Anfangs war es nur undeutlich zu hören gewesen, doch es wurde rasch lauter.
Einer der Männer stand auf und trat an die Tür. Die Brüllenden kamen näher. Der Mann öffnete die Tür und blickte auf die Straße. Er steckte den Kopf hinaus und zog ihn rasch wieder zurück. Dann drehte er sich um und stützte die Fäuste in die Hüften.
»Diesmal hat es Grigorij Ignatjeff erwischt.«
Die drei Männer sprangen auf und brüllten durcheinander.
»Daran sind nur die Fremden schuld«, schrie einer der Männer und baute sich drohend vor mir auf.
Ich packte meine Kappe und ging an ihm vorbei. Er griff nach mir, doch ich schüttelte seine Hand ab und beschleunigte meinen Schritt. An der Tür drehte ich kurz den Kopf herum. »Danke für den Grog.« Dann trat ich hinaus und blieb auf der Straße stehen.
Das Geschrei war lauter geworden. Ein junger Mann lief auf mich zu. Trotz der beißenden Kälte trug er keinen Mantel. Er wurde von einer brüllenden Meute verfolgt, die aus etwa zwanzig Männern und Frauen bestand. Ich hatte den jungen Mann heute schon einmal gesehen. Es war Grigorij Ignatjeff, der mich aufgefordert hatte, aus Novornaja zu verschwinden.
Er kam rasch näher. Sein Atem hing wie eine weiße Wolke vor seinem Mund. Die Hände hatte er gegen die Stirn gepreßt. Er gab winselnde Laute von sich. Der Mann rannte an mir vorbei, und für einen kurzen Augenblick sah ich den silbernen Stirnreif, den er verzweifelt abzunehmen versuchte.
Zu meiner größten Verwunderung zollte mir keiner Aufmerksamkeit. Ich schloß mich der wilden Horde an. Sie hetzten Ignatjeff durch das Dorf, vorbei an der Kirche in die schmale Gasse. Ich ahnte, wo sie den Jungen hintreiben wollten; und ich hatte mich nicht geirrt. Ihr Ziel war der kleine Platz, auf dem die Statue des Monsters stand.
Der Mob hatte Ignatjeff eingeholt. Dutzende von Händen griffen nach ihm. Er schlug verzweifelt um sich, doch vergebens. Vor der Statue wurde er zu Boden gerissen. Neugierig kam ich näher und blieb stehen. Ignatjeff lag im Schnee und strampelte wild mit den Beinen. Ein Mann zog ihm den rechten Stiefel aus, danach riß er den Wollsocken herunter.
»Laßt mich los!« brüllte er. »Hilfe!«
Sein Gesicht war bleich. Tränen rannen über die vollen Wangen, und er schluchzte. Mein Blick fiel auf den silbernen Stirnreif. Er sah genauso
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