Bernhard Gunther 01 - Feuer in Berlin
P. B. Kerr wurde I956 in Edinburgh/Schottland geboren. Er studierte Jura an der Universität Birmingham und arbeitete zunächst als Werbetexter, bis er sich einen Namen als Autor, vor allem von Krimis und Thrillern für Erwachsene, machte. Viele seiner Bücher wurden internationale Bestseller, etliche mit großem Erfolg verfilmt. Für seine Arbeit wurde er u. a. zweimal mit dem Deutschen Krimipreis ausgezeichnet. Heute lebt der Vater von drei Kindern als freier Schriftsteller in einem Vorort von London. Im Rowohlt Taschenbuch Verlag erschienen zuletzt «Newtons Schatten» (rororo 234IO), «Der Plan» (rororo 22833), «Der zweite Engel» (rororo 234 00 ), "Gesetze der Gier» (rororo 23I45), « Der Tag X» (rororo 23252) und "Das Akhenaten-Abenteuer» (rororo 24 2 75).
PHILIP KERR
Feuer in Berlin
Deutsch von Hans J. Schütz
Rowohlt Taschenbuch Verlag
Berlin 1936
Erster Mann: Ist dir aufgefallen, wie die Märzgefallenen es geschafft haben, alte Parteigenossen wie dich und mich hinter sich zu lassen?
Zweiter Mann: Du hast recht. Hätte Hitler auch noch ein bißchen gewartet, ehe er zu den Nationalsozialisten ging, wäre er vielleicht schneller Führer geworden.
Das Schwarze Korps, November 1935
1
Merkwürdige Dinge ereignen sich in den dunklen Träumen des Großen Verführers ...
Heute morgen sah ich an der Ecke Friedrichstraße und Jägerstraße zwei SA-Männer, die einen roten Schaukasten des Stürmers von der Mauer eines Gebäudes abschraubten. Der optische Eindruck dieser Schaukästen mit ihren halb-pornographischen Strichzeichnungen von arischen Mädchen in den lüsternen Umarmungen langnasiger Monster zielt darauf, den schwachköpfigen Leser anzuziehen und ihm einen flüchtigen Kitzel zu verschaffen. Anständige Leute wollen damit nichts zu tun haben. Die bei den SA-Männer luden die Kästen jedenfalls auf die Ladefläche ihres Lastwagens, wo bereits viele andere lagen. Sie machten ihre Arbeit nicht gerade sorgfältig, da bei ein paar Kästen die Glasscheiben ohnehin schon zerbrochen waren.
Eine Stunde später sah ich dieselben Männer vor dem Rathaus wieder, wo sie einen Kasten von einer Straßenbahnhaltestelle entfernten. Diesmal ging ich zu ihnen und fragte sie, was sie da trieben.
«Es ist wegen der Olympiade», sagte einer von ihnen. «Wir haben Befehl, sie alle wegzuräumen, damit die ausländischen Besucher, die nach Berlin kommen, um sich die Wettkämpfe anzusehen, keinen Schock kriegen.»
Meines Wissens ist eine solche Rücksichtnahme seitens der Behörden einmalig.
Ich fuhr mit meinem Wagen nach Hause - es ist ein alter schwarzer Hanomag - und zog meinen letzten guten Anzug an: Er ist aus hellgrauem Flanell und hat mich, als ich ihn vor drei Jahren kaufte, hundertzwanzig Mark gekostet. Der Stoff ist von einer Qualität, die in diesem Land immer seltener zu finden ist: wie Butter, Kaffee und Seife. Die heutigen Wollstoffe sind meistens Ersatz. Gewiß, sie sind einigermaßen brauchbar, nur nicht sehr strapazierfähig und ziemlich unwirksam, wenn es darum geht, im Winter die Kälte abzuhalten. Oder im Sommer die Hitze.
Ich überprüfte mein Aussehen im Schlafzimmerspiegel, und dann griff ich nach meinem besten Hut. Es ist ein breitkrempiger dunkelgrauer Filzhut mit einem schwarzen Baratheaband. Nichts Besonderes. Aber wie die Männer von der Gestapo trage ich meinen Hut anders als üblich, nämlich tief in die Stirn gezogen. Dadurch werden natürlich meine Augen verdeckt, und das erschwert es den Leuten, mich zu erkennen. Es ist eine Marotte, die bei der Kripo aufgekommen ist und die ich mir dort zu eigen gemacht habe.
Ich steckte ein Päckchen Muratti in meine Jackentasche, klemmte mir vorsichtig ein in Geschenkpapier verpacktes Stück Rosenthal-Porzellan unter den Arm und machte mich auf den Weg.
Die Hochzeit fand in der Luther-Kirche am Dennewitzplatz statt, genau südlich vom Potsdamer Bahnhof und einen Steinwurf von der Wohnung der Brauteltern entfernt. Der Vater, Herr Lehmann, war Lokführer am Lehrter Bahnhof und fuhr viermal in der Woche den D-Zug nach Hamburg hin und zurück. Die Braut, Dagmar, war meine Sekretärin, und ich hatte keinen Schimmer, was ich ohne sie anfangen würde. Es war auch nicht so, daß mir ihre Heirat nichts ausmachte: Ich hatte oft selbst daran gedacht, Dagmar zu heiraten. Sie war hübsch und wußte mich richtig zu nehmen, und ich schätze, daß ich sie auf meine komische Art liebte; aber mit achtunddreißig war ich vermutlich zu alt für sie und
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