0285 - In den Tiefen von Loch Ness
Ausführung!« bellte Sir Glenn wie in den besten Tagen als Ausbilder in Indien. John verneigte sich devot, schritt rückwärts zur Tür und verließ die Bibliothek, um draußen seine Anweisungen an das untergeordnete Personal zu erteilen. Schließlich war man ja als Butler bei den MacRavens wer und brauchte sich für Kleinigkeiten dieser Art nicht die eigenen Fingernägel schmutzig zu machen.
Sir Glenn aber verfiel in tiefes Brüten.
***
Angely MacRaven, hübsche neunzehn Jahre jung, mit einem liebreizenden Gesicht, einem schlanken, biegsamen Körper und langem rötlichblonden Haar gesegnet, vergaß nur zu gern den hochadligen Mief von Raven’s Castle. Sie konnte doch auch nichts dafür, daß ausgerechnet dieser stinkreiche Lord ihr Vater war. Wie ein Mädchen von Stand sollte sie sich gefälligst benehmen! Das hatte sie so lange getan, bis sie aus dem Internat entlassen worden war. Zurückgekehrt nach Schottland, begann sie zu leben. Sie war wild und genoß alles, was eben möglich war, sehr zum Verdruß ihrer Eltern und der gestrengen Tante Melissa. Wahrscheinlich war Roderick, ihr Bruder, der einzige, der sie halbwegs verstand und ihr Tun billigte. Für die anderen aber benahm sie sich einfach unmöglich. Es gehörte sich einfach nicht, Nächte in Discotheken zuzubringen oder sich auch nur mit Bürgerlichen zu unterhalten. Der Herr Papa hatte ja sogar schon einen bedauernswerten Ehekandidaten für sie ausgesucht.
»Bevor ich den heirate, gehe ich ins Kloster«, hatte Angely angedroht und damit das Thema Heirat erst einmal abgeblockt. Mit Tante Melissa lag sie in ständigem Streit, mit ihrer Mutter seltener, und der Herr Papa mißbilligte zwar die Lebensweise seiner einzigen Tochter, war aber ansonsten der Ansicht, daß Erziehung die Sache der Frauen war, während die Männer sich um Golf, Kricket und Staatspolitik zu kümmern hatten. Nur hin und wieder ließ er sich zu gar grimmigen Bemerkungen herab.
An diesem frühen Nachmittag hatte sich Angely hinter das Lenkrad des Geländewagens geklemmt - natürlich auch völlig unstandesgemäß, weil sie gefälligst im fußlangen Kleid im Fond einer Luxuslimousine zu sitzen hatte. Für die Tätigkeit des Fahrens gab es schließlich zwei Chauffeure! Statt dessen lenkte Angely nun selbst, in Sweat-Shirt, Jeans und hochschäftigen Stiefeln, weil in Schottland da, wo kein Fels ist, für gewöhnlich Schlamm anzutreffen ist.
Angely fuhr zum Ufer des langgestreckten Loch Ness hinunter. Die Sonne schien, es war trotz der hohen nördlichen Gebirgslage annehmbar warm, und wenn man sich an das schottische Reizklima gewöhnt hatte, konnte man auch schon mal in den knappen Bikini schlüpfen und ein erfrischendes Bad im kühlen See nehmen. Eigentlich hatte Angely vorgehabt, auch auf den Bikini zu verzichten, aber dann hatte sie Wagenspuren entdeckt und sah nun den Angler am Seeufer sitzen. .
Die Ländereien von Raven’s Castle waren weitläufig und schlossen auch einen langen Teil des Ufers ein. Da es jedermann zugänglich war, wunderte sich Angely nicht über die Anwesenheit des Anglers. Nun, vielleicht war er jung und ansehnlich und es lohnte sich, ein paär Worte mit ihm zu wechseln. Also näherte sie sich ihm leise, um ihm die Fische nicht zu erschrecken.
Fast hatte sie ihn erreicht, als das Unglaubliche geschah. Angely schrie auf. Der riesige Schädel des Ungeheuers brach aus der Tiefe des Loch Ness hervor!
Des Ungeheuers!
Aber war das nicht nur eine Legende, immer wieder in die Zeitung gebracht von Sensationsreportern oder Touristen? Kreaturen wie diese konnte es nicht geben. Denn wie sollte ein Geschöpf aus der Zeit der Saurier so viele Jahrtausende, Jahrmillionen überlebt haben? Das war unmöglich, und all die Bilder waren nichts als plumpe Fälschungen.
Hatte Angely bis zu diesem Moment geglaubt.
Jetzt aber sah sie das Ungeheuer vor sich, und das war echt, war keine Attrappe oder Sinnestäuschung! Und so groß und so nah am Ufer war es und griff jetzt an, jagte aus dem aufgerissenen Maul einen Dampfschwall gegen die beiden Menschen und schnappte nach dem Angler!
Der warf sich rückwärts. Angely machte einen Sprung zur Seite. Der Schädel schnappte an ihnen beiden vorbei, zuckte wieder zurück und war im nächsten Moment schon wieder zwanzig, fünfundzwanzig Meter weit von ihnen entfernt. Das Ungeheuer gab einen röhrenden Laut der Enttäuschung von sich und tauchte wieder unter. Es schien sich unter Wasser zu drehen, denn im nächsten Moment kam der gewaltige
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