0286 - Als der weise Merlin starb
einem Mundwinkel zum anderen jongliert hatte. Mit seiner Ruhe war es schlagartig vorbei. Zwar hielt die Verbundglasscheibe die einzelnen Scherben notdürftig zusammen, doch dadurch wurde ihm die Sicht nach draußen auf die scheinwerfererhellte nächtliche Landstraße fast unmöglich gemacht!
Sein rechter Fuß reagierte schneller als sein Verstand und wechselte die Pedale. Wuchtig trat er die Bremse durch. Die Reifen quietschten wie bei einer amerikanischen Fernsehverfolgungsjagd, und einige bange Sekunden sah es so aus, als wollten die Räder blockieren und den schweren Wagen seitlich ausbrechen lassen. Nur mit Mühe und viel Geschick gelang es Banshee, die Kontrolle über das Fahrzeug zu behalten und es zum Stehen zu bringen.
Schweißgebadet lehnte er sich im Sitz zurück. Sein Atem ging keuchend, und auf der Stirn stand kalter Angstschweiß. Plötzlich war er wieder hellwach und beinahe nüchtern.
Peter Banshee, ganze neunundzwanzig Jahre jung und freischaffender Künstler, ahnte, daß er dem Tod noch einmal um Haaresbreite von der Schippe gesprungen war.
Und diese Ahnung wurde zur Gewißheit, als er wenig später aus dem Wagen stieg. Er hatte den Motor ausgeschaltet, jedoch die Scheinwerfer brennen lassen und zusätzlich die Warnblinkanlage in Betrieb gesetzt.
Der Schreck fuhr ihm in alle Glieder, als er draußen auf dem schmalen Geröllstreifen neben der Fahrbahn stand und feststellte, daß ihn kaum ein halber Meter von einem Abgrund trennte, der mindestens zwanzig Meter steil nach unten führte!
Bei allen walisischen Schutzheiligen! dachte er und klammerte sich instinktiv am Rahmen der offenstehenden Autotür fest.
Wenn er auch nur einen Moment die Kontrolle über den Wagen verloren hätte und etwas nach links geraten wäre…
Er fing noch stärker an zu schwitzen. Kühle Nachtluft umfächelte sein Gesicht. Er kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können. Als er sich etwas vom zweiten Schreck in Folge erholt hatte, schloß er die Wagentür, ging nach vorne und beugte sich über die grauweiß im Dunkeln glänzende Motorhaube.
Benommen sog er die mit Wärme angereicherte Luft in sich ein, die sich wie ein unsichtbares Polster über dem Wagenblech staute. Der Motor war von der kurzen, rasanten Fahrt heißgelaufen und baute ein Hitzeschild auf, das, ebenso wie die Scheinwerfer, bereits die ersten Nachtinsekten anlockte. Banshee sah undeutlich ein paar hin und her taumelnde Motten und seltsame Käfer über der Haube tanzen.
Aber dann sah er etwas anderes, was seine ungeteilte Aufmerksamkeit auf sich lenkte…
Das Ding!
Den Gegenstand, der die Scheibe zertrümmert hatte!
»Zum Teufel, was…«, setzte er fluchend an, verstummte jedoch jäh, als seine ausgestreckte Hand das Ding berührte, das in der Mitte der Scherbenfläche festzukleben schien, sich aber widerstandslos wegnehmen ließ, als Banshee es zwischen die Finger nahm und daran zog.
Dann hielt er es in der Hand.
Ein Metallbrocken, klobig und kaum mit einer Hand zu umfassen, pechschwarz und eiskalt!
»Hm«, brummte der Mann, der eigentlich etwas anderes erwartet hatte. Einen Stein vielleicht, einen Ast, der von einem der verstreut am Straßenrand stehenden Bäume heruntergestürzt wäre…
Er wog das Ding unentschlossen in der Hand, drehte es zwischen den Fingern und trat dann kurzentschlossen in den Erfassungsbereich der Schweinwerfer. Im grellweißen Licht der Halogenlampen sah er erstmals Einzelheiten des Gegenstandes.
Peter Banshee glaubte, seinen Augen nicht trauen zu können, als er Hie kunstvoll ausgearbeitete Eisenskulptur betrachtete, die ein gnomenhaftes, koboldartiges Wesen darstellte. Der Kopf der etwa handspannengroßen Statue wirkte deformiert und übergroß auf einem dünnen Stummelhals, der auf einem gedrungenen, teilweise verwachsenen kleinen Körper saß. Das Gesicht der Figur war fratzenhaft verzerrt und hing seltsam schief. Der linke Mundwinkel war nach oben gezogen, das darüberliegende Auge zu einem kaum wahrnehmbaren Schlitz zusammengekniffen. Dafür schien das rechte Auge Peter regelrecht anzuglotzen!
Er schüttelte ungläubig den Kopf und sah genauer hin.
Obwohl die ganze Figur aus einem dunklen Metall hergestellt war, das überraschendes Gewicht hatte, schien das eine, sichtbare Auge eine Ausnahme zu sein. Wer flüchtig hinschaute, konnte meinen, es handele sich dabei tatsächlich um etwas organisch Gewachsenes. Aber das war absurd.
»Völlig absurd…« murmelte Peter fasziniert und abgestoßen
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