029 - Der tätowierte Tod
meiner Hand. Suslikow und Petrow, diese beiden Jugendlichen – und Sie, Hunter. Ihr seid mir ausgeliefert.«
»Ihnen?« sagte Dorian erstaunt. »Sie sind nicht Srasham, sondern nur sein Werkzeug. Wenn Sie ihn erst zum Leben erweckt haben, dann werden Sie seine Macht wie alle anderen zu spüren bekommen.«
»Ich nicht«, behauptete Samjatin zuversichtlich. »Denn er ist in meiner Schuld. Srasham verdankt es mir, daß er zu neuem Leben erwacht. Deshalb wird er mir zu Diensten sein.«
»Dämonen kennen keine Dankbarkeit«, erwiderte Dorian.
Samjatin lachte. »Es hat keinen Zweck, mich verunsichern zu wollen. Das gelingt Ihnen nicht, Hunter. Ihr Trick ist zu billig. Sie versuchen natürlich, Ihre Haut zu retten. Aber dazu ist es zu spät. Sehen Sie sich an!«
Er hielt ihm einen Spiegel hin. Dorian zackte zusammen, als er in die Fratze starrte, die ihm entgegenblickte. War das noch er? Sein Spiegelbild, das ihm bisher so vertraut gewesen war, zeigte ihm ein ganz und gar fremdes Gesicht, durch tätowierte Ornamente und Schriftzeichen verunstaltet; nur die Stirn war noch frei.
Samjatin nahm den Spiegel wieder weg. »Meze hat es gleich geschafft. Und dann sind Sie ein Teil von Srasham, Hunter.
Sehen Sie nur, wie der Dämon vor Erregung zittert. Ein Strom Lebensenergie fließt stetig von Ihnen auf ihn über. Und mit dem letzten Nadelstich ist der Kreislauf geschlossen. Sie werden auf ewig Srashams Diener sein, bis er Ihrer überdrüssig ist und Sie zermalmt.«
»Und Sie?« fragte Dorian mit schwacher Stimme zurück.
»Ich bin Srashams Gebieter!«
Samjatin zog sich zurück.
Dorian fiel wieder in einen Zustand, der zwischen Schlaf und Wachsein, zwischen Traum und Wirklichkeit lag. Manche, oft weit entfernte Dinge, selbst wenn sie außerhalb seines Rückfeldes lagen, konnte er ganz deutlich erkennen. So sah er, daß Paul und Ginger auf einen Opferstein gefesselt waren; und er wußte, daß sie, die Abtrünnigen, Srashams erste Opfer sein sollten, wenn er aus seiner Jahrhunderte währenden Starre erwachte. Samjatin würde ihre Körper öffnen, damit sich der Dämon ihre Leben holen konnte.
Aysha wiederum, obwohl sie ihm ganz nahe war, war nur ein verschwommener Fleck. Seine Gedanken begannen sich um ihr Schicksal zu drehen. Woher kam sie? Was würde aus ihr werden, wenn Srasham erwachte? Noch war sie die Trägerin eines Teils der Macht des Dämons. Sie allein war es, die Dorian mit ihrer hypnotischen Kraft hier festhielt. Er konnte sich ihr nicht entziehen; und selbst wenn er es gekonnt hätte, hätte er es nicht getan! Er war gegen den Dämon gewappnet.
Plötzlich erkannte er die Absicht der Manichäer. Er wußte, daß sie ihn ganz bewußt Srasham ausgeliefert hatten. Sie wollten, daß mit der Tätowierung etwas von dem Dämon auf ihn überging, daß zwischen ihnen eine tiefe Verbindung entstand – denn nur so war es Dorian möglich, Srasham zu vernichten.
Er blieb ganz ruhig, als Meze plötzlich innehielt. Das Werk war vollendet. Der Augenblick der Entscheidung war da.
Ginger schrie auf, als sich die Mumie auf dem Thron bewegte. Paul bekam trotz der Fessel ihre Hand zu fassen und drückte sie. Er sah dem Tod gefaßt ins Auge.
Srashams Gesicht wies keine Tätowierung mehr auf. Mit Mezes letztem Nadelstich waren die magischen Fesseln, die ihn Jahrhunderte hindurch gefangengehalten hatten, von dem Dämon abgefallen.
Die Sektenmitglieder kamen nun aus allen Richtungen heran. Sie umstanden den Opferstein und ließen nur eine schmale Gasse frei, die von dem Dämon zu seinem Befreier Dorian Hunter führte.
Paul verdrehte den Kopf so, daß er Dorian sehen konnte. Das Gesicht des Dämonenkillers war eine leuchtende und in vielen Farben schillernde Fratze. Es schien in Flammen zu stehen, Flammen, die nicht heiß brannten, sondern eine eisige Kälte verströmten.
Auch die Tätowierungen auf den Körpern der anderen Dämonendiener begannen aufzuflammen. Es schien, als wollten die Bildnisse die Körper, in denen sie gefangengehalten wurden, sprengen und aus ihnen entfleuchen.
Juri Samjatin baute sich vor Paul und Ginger auf. Sein Gesicht zeigte einen diabolischlüsternen Ausdruck. Ginger preßte unwillkürlich die Schenkel zusammen, als das Scheusal auf seiner Brust sein Horn steiler aufrichtete. Paul zerrte verzweifelt an seinen Fesseln, obwohl er die Nutzlosigkeit seines Tuns erkannte; selbst wenn er die Arme freibekommen hätte – was konnte er gegen die Magie eines Dämons ausrichten? In seiner Hilflosigkeit
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