029 - Die neue Macht
zwischen ihrer Abteilung und den normalen Soldaten war einfach zu groß. »Die WCA ist nicht das Marines Corps, ergo gehöre ich auch nicht dem Militär an.«
Es war ihr selbst klar, dass die Situation nicht so einfach war, denn General Crow war der Vorgesetzte beider Zweige. Er selbst hatte in einer Rede einmal behauptet, die WCA sei nichts anderes als die Marines ohne Kasernen. Trotz heftiger Proteste von beiden Seiten hatte er diese Behauptung nie zurückgenommen. Der Präsident sah sie ernst an. »Du bist aber wohl kaum in mein Büro gekommen, um dich über die WCA und die Marines zu streiten, oder?«
Dayna hob die Schultern. »Es hängt zumindest damit zusammen. Ich habe gehört, dass General Crow Matthew Drax nach Militärrecht aburteilen will.«
»Das ist sein gutes Recht. So hat zumindest der Senat entschieden.«
»Dann hat der Senat falsch entschieden. Drax braucht Hilfe, nicht die Todesstrafe!«
Victor wirkte überrascht über ihre Vehemenz.
»Dayna«, versuchte er sie zu beruhigen. »Ich weiß, dass du keine Anhängerin von Crows Politik bist, aber er ist kein Unmensch. Wenn Drax nicht zurechnungsfähig ist, wird er auch keinen Prozess erzwingen.«
»Da bin ich mir nicht so sicher. Das ist doch genau die Chance, auf die er gewartet hat. Crow will keinen Kontakt mit den Europäern und die werden wohl kaum einen zweiten Abgesandten schicken, wenn ihr erster nicht zurück kommt. Glaubst du wirklich, dass er auf diesen Sieg verzichten wird, nur um einem einzigen Menschen zu helfen?«
Victor schüttelte den Kopf. »Du stellst die Situation viel zu einseitig dar. Auch Crow ist nicht allmächtig. Ich achte schon darauf, dass er seine Befugnisse nicht missbraucht.«
Dayna bemerkte, dass sie nicht zu ihm durchdrang.
»Onkel Victor«, sagte sie leise. »Ich war damals in der gleichen Lage wie Matthew. Wenn man mir nicht geholfen hätte…«
Der Präsident stand auf. »Blödsinn. Das war etwas völlig anderes. Du hattest ein paar Probleme nach dieser Geschichte.«
»Ein paar Probleme? Ich hab versucht mir die Pulsadern aufzuschneiden. Und es war auch keine Geschichte, sondern der Tod meiner Freunde, die bei lebendigem Leib von Kannibalen zerhackt und gegessen wurden. Das hätte mich beinahe umgebracht.«
»Aber zumindest hast du niemanden umge…«. Er stockte, wohl als ihm klar wurde, dass das nicht stimmte. Mit einem Stoßseufzer lehnte er sich gegen seinen Schreibtisch und verschränkte die Arme vor der Brust.
»Also gut. Du hast mich genau da, wo du mich haben wolltest. Was soll ich jetzt deiner Meinung nach tun?«
Day na stand ebenfalls auf. »Nur eine Kleinigkeit. Lass Matthew von einem Arzt untersuchen, bevor Crow seine Stabsmediziner schickt, die ohnehin nur diagnostizieren, was ihm gefällt. Mehr verlange ich gar nicht.«
Victor schien erleichtert darüber zu sein, dass seine Nichte keine komplizierteren Wünsche hatte. Er gab die Anweisung an seinen Sekretär weiter, bevor er Dayna sanft, aber nachdrücklich vor die Tür setzte. Sie wusste, dass sie alle persönlichen Gefallen für die nächste Zeit verspielt hatte, doch das störte sie in diesem Moment nicht.
Dayna verließ den Präsidententrakt. Sie war sich sicher, dass Matthew ein wenig Aufmunterung gebrauchen konnte. Allerdings hoffte sie, dass ihr auf dem Weg zu den Zellen eine Möglichkeit einfiel, um den Worten »Hey, ich hab’s geschafft, dass man Sie auf Ihren Geisteszustand hin untersucht« einen etwas positiveren Klang zu geben.
***
Malcolms Schritte waren voller Elan, als er den Korridor zu den Zellen entlang ging. Seit zwei Tagen hatte er nicht geschlafen, aber Müdigkeit verspürte er nicht. Im Gegenteil, er war so konzentriert und ausgeruht wie noch nie zuvor in seinem Leben.
Mittlerweile hatte er auch das Kichern unter Kontrolle, und er fragte sich, weshalb er so lange in Angst vor der Bestie gelebt hatte, die an seinem Verstand kratzte. Seit er sie hereingelassen hatte, fühlte er sie in seinem Geist wie ein Raubtier, das wachsam auf der Lauer lag.
Er bog um die Ecke und nickte dem Wachmann am Eingang des Zellentrakts zu. Der trat von der Tür zurück und gewährte ihm Einlass.
Malcolm hätte jeden anderen Arzt seiner Schicht schicken können, um den Auftrag, den ihnen das Büro des Präsidenten gegeben hatte, zu erledigen, aber er wollte selbst gehen. Auch wenn es ein geringes Restrisiko gab, war die Aussicht, sich mit eigenen Augen von den Konsequenzen seiner Tat überzeugen zu können, eine zu große Versuchung.
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