0295 - Grauen hinter festen Türen
sagte er, stand auf und ging an seinen Tisch zurück.
***
Die Frau, die in der Tür erschien, als Phil geklingelt hatte, mochte knapp über die Dreißig sein. Sie trug einen hellgrauen Kittel, unter dem ein paar Zentimeter ihres geblümten Kleides hervorlugten. Ihr Kopfhaar war unter einem grellgelben Tuch verborgen, das sie sieh um den Kopf gewunden hatte. In der Hand hielt sie noch einen Staubwedel.
»Miß Myrna Paulsen?« fragte Phil.
Sie nickte verwirrt.
»Ja, das bin ich. Was ist denn?«
»Wir hätten uns gern ein paar Minuten mit Ihnen unterhalten. Miß Paulsen.«
»Oh, das paßt mir aber jetzt sehr schlecht. Ich bin gerade beim Saubermachen.«
»Es wird nicht lange dauern«, versprach Phil. Er ließ seinen Ausweis sehen: »FBI, Miß Paulsen.«
Sie wurde nervös. Mit den Schneidezähnen des Oberkiefers nagte sie unruhig an ihrer Unterlippe herum. Plötzlich raffte sie sich auf und gab die Tür frei. Mit einer stummen Geste forderte sie uns auf, über die Schwelle zu treten.
»Ich kann Sie aber nur in die Küche führen«, sagte sie entschuldigend und zeigte auf die zusammengerollten Teppiche in der Diele und im Wohnzimmer, in das man durch die offenstehende Schiebetür blicken konnte.
»Das macht nichts«, erwiderte Phil. »Wir wissen, daß man morgens gegen zehn nicht gerade günstig für eine Hausfrau kommt.«
Die Küche war hypermodern eingerichtet und glich in manchem eher einem Laboratorium. Es wimmelte von vollautomatischen Geräten mit Bedienungsknöpfen und farbigen Tätigkeitsanzeigern. Zwei Gestelle aus blinkendem Metall mit buntem Segeltuch entpuppten sich als Stühle, auf denen man bequemer sitzen konnte, als man bei ihrem Anblick vermutet hätte. Myrna Paulsen hatte sich selbst auf einer Eckbank niedergelassen.
»FBI«, murmelte sie, »ich verstehe nicht, was ich mit dem FBI zu tun habe?«
»Es handelt sich um Ihren Bruder, Miß Paulsen«, sagte Phil.
Ihr Gesicht wurde hart.
»Ach, George«, sagte sie mit einem bitteren Tonfall, »das war schon immer ein Taugenichts, aber Mutter wollte es nicht glauben. Sie verhätschelte ihn. Vermutlich, weil es der einzige Sohn war.«
»Folglich waren Sie aber nicht das einzige Mädchen der Familie?« fragte Phil.
»Nein. Ich habe noch zwei Schwestern. Eine ist in Hongkong verheiratet mit einem Mann, der irgendwas mit Export-Geschäften zu tun hat. Die andere ist Lehrerin und mit Regierungsauftrag in Europa an einer Schule für die Kinder unserer Auslandsstreitkräfte tätig.«
»Erzählen Sie noch ein bißchen über Ihren Bruder, Miß Paulsen«, bat Phil.
»Da gibt es eigentlich sehr viel und gar nichts zu erzählen. Wenn ich Ihnen sage, daß er ein chronischer Faulpelz ist, wissen Sie alles. Wenn ich die Einzelheiten anführen wollte, die mich zu diesem Urteil kommen ließen, könnte ich Ihnen wochenlang davon erzählen. Ich glaube aber, daß es in der Hauptsache an einer verfehlten Erziehung lag. Daß er jetzt eine Unterschlagung begangen hat, wundert mich eigentlich nicht sonderlich, höchstens daß es ihm gelang, gleich an eine so große Summe heranzukommen. Aber viel wird er davon sicher nicht haben, nicht wahr?«
»Wie meinen Sie das?« erkundigte sich Phil, der nun einmal dieses Gespräch übernommen hatte.
»Nun, wenn das FBI schon hinter ihm her ist, wird er sich seiner Freiheit bestimmt nicht mehr lange erfreuen können, nicht wahr?«
»Das FBI bearbeitet diesen Fall von Anfang an«, gab Phil zu. »Und zwar aus zwei Gründen: Erstens sind es bundesstaatliche Gelder, die Ihr Bruder stahl, zweitens aber ist nicht damit zu rechnen, daß er damit in Arkansas bleibt, sondern er wird mit größter Wahrscheinlichkeit in andere Bundesstaaten gehen oder gar ins Ausland zu kommen versuchen. Deswegen hat sich das FBI dieses Falles sofort angenommen.«
»Haben Sie schon eine Spur von ihm?«
Phil beantwortete diese Frage durch eine Gegenfrage:
»Könnten Sie- uns eine solche Spur verschaffen?«
Myrna Paulsen senkte den Kopf. Ein paar Minuten dachte sie nach, dann hob sie den Kopf. Sie war ein wenig blasser als vorher beim Öffnen der Tür.
»Ja«, sagte sie. »Eine solche Spur kann ich Ihnen verschaffen, glaube ich. George will nach New York kommen. Ich weiß nicht, was er sich davon verspricht. Aber er hat es vor.«
Sie stand auf und öffnete einen Wandschrank. Daraus entnahm sie eine sehr große Blechdose Pulverkaffee, zog den Deckel ab und rührte mit einem Löffel in dem dunkelbraunen Pulver, bis sie ein kleines Säckchen aus
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