03 - Winnetou III
das einzelnste betrachten konnte.
Er war von kleiner, sehr hagerer Statur und trug auf dem Kopf einen alten Filzhut dem die Krampe vollständig fehlte, ein Umstand, der in der Prärie nicht auffallen konnte, hier aber einen Mangel hervorhob, der mir höchst auffällig erscheinen mußte: der Mann hatte nämlich keine Ohren. Die Stelle, an welcher sie sich befinden sollten, zeigte die Spuren einer gewalttätigen Behandlung, sie waren ihm jedenfalls abgeschnitten worden. Um die Schulter hing ihm eine ungeheure Decke, welche den Oberleib vollständig verhüllte und kaum die hageren Beine erkennen ließ, die in einem Paar so eigentümlicher Stiefel steckten, daß man drüben in Europa über dieselben gelacht hätte. Sie bestanden nämlich in derjenigen Sorte von Fußbekleidung, wie sie die Gauchos in Südamerika zu fertigen und zu tragen pflegen. Man zieht von einem enthuften Pferdefuß die Haut ab, steckt wenn sie noch warm ist das Bein hinein und läßt sie an demselben erkalten; die Haut legt sich eng und fest an Fuß und Unterbein und bildet so eine vortreffliche Fußbekleidung, welche allerdings die Eigentümlichkeit hat daß man mit derselben auf seinen eigenen Sohlen geht. Am Sattel hatte er ein Ding hängen, welches jedenfalls eine Büchse sein sollte, eher aber einem Knittel ähnlich sah, wie man ihn zufällig im Wald findet. Sein Pferd war eine alte hoch- oder vielmehr kamelbeinige Stute, welcher der Schwanz vollständig fehlte; ihr Kopf war unverhältnismäßig groß, und die Ohren besaßen eine Länge, über welche man hätte erschrecken können. Das Tier sah aus, als sei es aus verschiedenen Körperteilen von Pferd, Esel und Dromedar zusammengesetzt, hing beim Laufen den Kopf tief zur Erde und ließ dabei die Ohren wie ein Neufundländer Wasserhund hart am Kopf herabfallen, wie wenn sie ihm zu schwer wären.
Unter anderen Verhältnissen oder als Neuling hätte man über Reiter und Pferd wohl lachen müssen, mir aber kam der Mann trotz der Sonderbarkeit seines Äußern doch vor wie einer jener Westmänner, welche man erst kennen lernen muß, um ihren Wert zu beurteilen. Er hatte wohl keine Ahnung, daß vier von den fürchterlichsten Feinden des Präriejägers ihm so nahe seien, sonst hätte er nicht so langsam und sorglos seinen Weg verfolgt und sich doch zuweilen nach ihnen umgeschaut.
Er war jetzt bis auf hundert Schritte herbeigekommen und hatte meine Fährte erreicht. Wer sie eher bemerkte, er oder sein Pferd, das vermochte ich nicht zu sagen, aber ich sah ganz deutlich, daß die Stute von selbst stehen blieb; den Kopf noch tiefer als vorher zur Erde senkte, mit den Augen nach den Fußspuren meines Mustangs schielte und dabei überaus lebhaft mit den langen Ohren wedelte, welche bald auf- und bald niederwärts gingen, und sich bald vor-, bald rückwärts legten, daß es aussah, als ob sie von einer unsichtbaren Hand aus dem Kopf gedreht werden sollten. Der Reiter wollte absteigen, um die Fährte genau zu untersuchen; dabei hätte er unnützer Weise die so kostbare Zeit verloren, und daher kam ich ihm durch meinen Ruf zuvor:
„Halloo, heda, Mann! Haltet Euch unten und kommt doch einmal ein wenig näher heran!“
Ich hatte meine Stellung so verändert, daß er mich sehen konnte. Auch seine Stute hob den Kopf, legte die Ohren steif nach vorn, als wolle sie meinen Anruf wie einen Ball auffangen, und wedelte dabei emsig mit dem kurzen nackten Schwanzstumpf.
„Halloo, Master“, antwortete er; „nehmt ein andermal Eure Stimme in acht, und brüllt ein wenig leiser; auf dieser alten Wiese hier weiß man niemals richtig, ob es nicht vielleicht hier oder da Ohren gibt, die nichts zu hören brauchen! Komm, Tony!“
Die Stute setzte auf diesen Zuruf ihre unendlichen Beine in Bewegung und blieb dann ganz von selbst bei meinem Mustang stehen, dem sie nach einem hochmütigen und maliziösen Blick denjenigen Körperteil zukehrte, den man bei einem Schiff den Stern zu nennen pflegt. Sie war wohl eines jener Reittiere, welche – wie sie in der Prärie nicht selten vorkommen – nur für ihren Herrn leben, jedem anderen aber sich so widerspenstig zeigen, daß sie für ihn unbrauchbar sind.
„Weiß ganz genau, wie laut ich reden darf!“ gab ich ihm zur Antwort. „Woher kommt Ihr und wohin wollt Ihr, Master?“
„Das geht Euch verteufelt wenig an!“ entgegnete er.
„Meint Ihr? Sehr übermäßig höflich seid Ihr nicht, Master; dies Zeugnis kann ich Euch schon jetzt mit gutem Gewissen geben, obgleich ich
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