030 - Die mordende Anakonda
der angrenzenden Gebäude schmiegten
sich eng aneinander, als wäre zu wenig Platz vorhanden gewesen, um das Dörfchen
weiter auszudehnen. In der Tat war auch ein steil ansteigender Berg unmittelbar
hinter dem Dorf schuld daran, dass die Häuser hier so eng aneinandergepfercht
waren. Wenn Joe die Hand ausstreckte, konnte er fast das Fenstersims auf der
gegenüberliegenden Straßenseite erreichen. Die schlauchähnliche Gasse war nicht
einmal so breit, dass ein Pferdekarren durchkam. Hier war es immer dunkel und
feucht, selbst wenn mehrere heiße, sonnenüberflutete Sommertage aufeinander
folgten.
Joe Rings hatte das Gefühl, als ob seine Muskeln aus Pudding bestünden. Der
Boden unter seinen Füßen schien zu wanken.
»Teufel«, murmelte der Ire halblaut vor sich hin. Dann ging er mit
unsicheren Schritten in die winzige Küche, drehte den Wasserhahn auf und trank
mit Hilfe seiner Hände direkt aus dem laufenden Strahl.
Die Kehle des Straßenbauarbeiters war wie ausgetrocknet.
Joe war nicht der Typ, der regelmäßig zur Arbeit ging. Er hatte seine
eigene Lebensphilosophie. Da er nicht die Pflicht hatte, eine Familie zu
ernähren, ging er zur Arbeit, wann es ihm passte und sich gerade eine
Gelegenheit dazu bot. Im Sommer tat er meistens gar nichts, lungerte oft am
Strand herum, ließ sich von dem einen oder anderen Touristen für eine Handreichung
zu einem Drink oder einem Essen einladen. Im Herbst arbeitete er dann
gelegentlich in seinem Beruf, und im Winter bezog er Arbeitslosenunterstützung.
Irgendwie ging es immer weiter.
Joe Rings fasste sich an den Kopf. Er musste an den seltsamen Traum denken,
der in seiner Erinnerung haftete.
Es kam dem Iren so vor, als hätte er eine gehörige Sauftour hinter sich.
Und Patrick Queshon hatte ihn doch begleitet?
Joe Rings steckte den Kopf unter das kaltfließende Wasser und verhielt
einige Sekunden in dieser Stellung. Ein
klarer Kopf weckt die Lebensgeister wieder , sagte er sich. Dann frottierte
er sich rasch ab und grinste still vor sich hin. Er musste Queshon erzählen,
was er da geträumt hatte. Vielleicht würden sie heute den Tag wieder in
McBratts Wirtshaus verbringen. Manchmal traf man ein paar alte Bekannte aus den
Nachbardörfern, die auch nichts mit ihrer Zeit anzufangen wussten, und an solch
einem trüben, sonnenlosen Tag wie heute wusste man sowieso nichts mit der Zeit
anzufangen. Ein paar Scotch, einige Biere – und vielleicht noch einmal einen
Scotch zum Abschluss, und die Welt sah gleich viel freundlicher aus.
Joe Rings fiel es schwer, sich an alle Details der letzten Nacht zu
erinnern. Er konnte sich nicht mehr entsinnen, wie er eigentlich heimgekommen
war. Und es fiel ihm auch nicht ein, wie es Patrick Queshon geschafft hatte.
Joe putzte notdürftig seine verschlammten Schuhe. Zäh hingen Reste des
Waldbodens daran. Der Mann bereitete sich rasch einen Tee und schlug zwei Eier
in die Pfanne.
Nach dem Essen verließ er die Wohnung. Seine Schritte hallten schwer durch
den finsteren, alten Hausgang. Der Ire wohnte unter dem Dach. Die Wände waren
schräg, aber das störte ihn nicht. Die Hauptsache war, dass die Miete ihn nicht
auffraß. Für jeden Schilling, den er an der Wohnung einsparte, konnte er sich
ein Glas Whisky mehr leisten. Und was hatte das Leben auf dieser
weltabgeschiedenen Insel schon mehr zu bieten? Ein Whisky konnte über vieles
hinweghelfen.
Joe kratzte sich hinter dem Ohr und dachte über gewisse Dinge nach, als er
die Treppen herabstieg. Queshon hatte eine größere Schlagseite gehabt. Rings
erinnerte sich daran, dass Queshon unbedingt noch einmal zurück wollte, um bei
McBratt eine Flasche Scotch für seine bessere Hälfte mitzunehmen.
Aber nein – das war doch im Traum
vorgekommen , sagte er
sich. Er warf die Dinge schon wieder durcheinander. Das kam wahrscheinlich
daher, dass er Wirklichkeit und Traum nicht mehr voneinander trennen konnte.
Mit jedem Gedanken an die vergangene Nacht aber tauchte jene ungewisse,
dumpfe Angst in ihm auf, die er sich nicht erklären konnte. Er wusste, dass
irgendetwas vorgefallen war, aber er drängte immer wieder das Grauen, das sich
in seine Gedanken einmischte, zurück, weil er sich nicht ganz sicher war, ob er
die Dinge wirklich erlebt, geträumt oder ob er nur eine Halluzination gehabt
hatte. Wenn es eine Halluzination gewesen war, dann hieß es höllisch aufpassen
mit dem Alkohol. Er durfte sich nicht mehr an solche scharfen Sachen wagen, er
vertrug sie offenbar nicht mehr.
Gewissheit aber
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