030 - Die Teufelshexe
erschienen. Melanie Kreywald war aktives Mitglied des Vereins zur Pflege der Hausmusik, dem weiblichen Kegelklub der Stadt und des Kirchenverbandes gewesen.
Alle drei Vereine hatten zu ihrem Begräbnis eine Abordnung geschickt. Der Verein zur Pflege der Hausmusik war sogar mit einem Quartett erschienen: Querflöte, Geige, Kontrabaß und Cello.
Schmerzgebeugt ging Adolf Kreywald hinter dem Sarg her, den sechs Sargträger auf die vorbereitete Grabstelle zutrugen. Dem Sarg voran schritt der Pfarrer, der die Trauerrede halten sollte.
Dann kamen die Familienangehörigen in großer Zahl, dahinter die Klubmitglieder und schließlich die vielen Kunden der größten Metzgerei der Stadt.
Auch Ralph Griesewald befand sich unter den Trauergästen.
Die Sargträger ließen den blumengeschmückten Sarg an dem offenen Grab nieder.
Sie stellten sich jeweils zu dritt rechts und links vom Sarg auf. Der Pfarrer trat vor.
»Meine liebe Trauergemeinde«, sprach er mit erhobener Stimme, »wir sind hier zusammengekommen, um einer wackeren, aufrechten Geschäftsfrau aus unserer Stadt das letzte Geleit zu geben. Daß die Trauergemeinde so zahlreich erschienen ist, beweist mir, wie beliebt Melanie Kreywald überall gewesen ist...«
Er hielt inne und sah sich irritiert um.
Was war das nur für ein Geräusch? Es war, als ob es in der Nähe des Saumes seiner Soutane klopfte und vibrierte.
Er ließ seinen Blick über den blumengeschmückten prächtigen Sarg gleiten.
Wenn es nicht unmöglich wäre, würde er glauben, daß aus dem Sarg eine Stimme dränge. Aber er hatte den Totenschein von Melanie Kreywald gesehen. Dr. Lamberti irrte sich nie. Der wußte, wann jemand tot war.
»Auch die vielköpfige Familie der Verblichenen ist vollzählig hier erschienen«, fuhr er in seiner Rede fort. »Warum, so fragen sich alle, die hier erschienen sind, wurde Melanie Kreywald in der Blüte ihrer Jahre, im Alter von achtunddreißig Jahren, von uns genommen?«
Strafend blickte er die Trauernden an. Jemand sprach dauernd dazwischen und ließ den nötigen Ernst vermissen.
Das Weinen der Frauen drang an sein Ohr. Höflich wartete er, bis es leiser geworden war, und fuhr dann fort in seiner Rede.
Er stand auf dem Erdhügel des vorbereiteten Grabes und blickte über die Köpfe der Leidtragenden hinweg.
Wirklich, so viele Trauernde waren nicht einmal zu dem Begräbnis des Regierungsrats Griesewald erschienen.
Mit erhobener Stimme schilderte der Pfarrer die Vorzüge der Verstorbenen. Ihre Güte, ihren Humor, ihre immerwährende gute Laune.
Und wieder hörte er ein Stimmchen. Es klang wie ein Hilferuf. Merkwürdig. Er sah über die anderen Grabhügel hinweg. Wollte jemand seine Trauerrede stören und sabotieren?
Der Witwer war leichenblaß und wurde von Verwandten gestützt. Der Pfarrer beendete seine Ansprache. Er trat auf den Witwer zu und schüttelte ihm die Hand. Der Pfarrer drehte sich um und gab den Sargträgern das Zeichen, den Sarg in die Grube hinunterzulassen.
An breiten Bändern ließen die Träger den Sarg hinab. Es ging alles reibungslos von sich, nur einer der Sargträger ließ sein Band los und trat einen Schritt zurück.
»Was ist los?« zischte sein Kollege neben ihm.
»Der Sarg hat sich bewegt«, stieß der Mann hervor.
Ein erstaunter Blick traf ihn.
»Zuviel gesoffen, was?« flüsterte er. »Siehst du weiße Mäuse, wie?«
»Es hat sich wirklich was bewegt.«
»Schnauze!« wurde er angefahren.
Die Grube war nicht tief. Der hohe Blumenschmuck ragte noch über den Rand des Grabes hinaus.
Nun trat das Quartett des Vereins zur Pflege der Hausmusik vor und stellte sich in Positur.
Stumm lauschten die Menschen den Klängen des modernen Komponisten, der bei seinem Trauergesang mitunter recht schrille Töne verwandte.
Gerade, als die Geige ein getragenes Largo in Moll intonierte, geschah es.
Es begann damit, daß das Liliengebinde mit der goldenen Schleife — gespendet vom Kegelklub — langsam, aber unaufhörlich den Sarg herunterrutschte und vor den Füßen des Witwers liegenblieb.
Danach geriet der Orchideenstrauß in Bewegung. Es war wie ein Spuk, als hinter dem Orchideenstrauß nun auch der riesige Trauerkranz des Kirchenverbandes zu Boden ging.
Es folgten die Tannen- und Flieder- Verzierungen, die unmittelbar auf dem Sarg lagen und die zum üblichen Sargschmuck des Beerdigungsinstituts gehörten.
Alles geriet ins Rutschen. Der gesamte Sargdeckel regte sich.
Zuerst merkte es, weil das Quartett ganz vorn am offenen Grab
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