030 - Vampir-Terror
Myrna Grey lag auf dem übelriechenden Stroh. Ihr Kleid war zerfetzt. Man hatte sie ausgepeitscht.
Doch es war nicht bei dieser einen Pein geblieben. Man hatte sie der grausamen Befragung mit Wasser unterzogen, denn jemand hatte behauptet, sie wäre eine Hexe, und nun sollte sie ein Geständnis ablegen, zu dem sie sich trotz der Folter nicht bereit erklärt hatte.
Soeben hatte Stockard Ross, der Hexenjäger, Inquisitor und Henker in einer Person, den Kerker betreten. Man behauptete, es wäre kein Mensch, sondern ein Dämon.
Es gab nur eine Frage, auf die keiner eine Antwort wußte: Wie konnte Ross - wenn er tatsächlich ein Dämon war - seine Schreckenstaten im Schütze des Kreuzes verrichten?
Breitbeinig stand er vor dem schwarzhaarigen Mädchen. Er trug hohe Schaftstiefel und braune Lederkleidung. Wild wucherndes Haar stand struppig von seinem Kopf ab, und er trug einen Vollbart, der ihn erschreckend grimmig aussehen ließ.
»Nun Hexe, bist du immer noch nicht bereit, zu gestehen, daß du mit dem Teufel im Bunde bist?«
»Dieses Geständnis bekommst du von mir nie!« zischte Myrna.
Stockard Ross lachte knurrend. »Du hältst dich wohl für sehr zäh, aber ich sage dir, ich habe noch jede Hexe weichgekriegt. Du hast den bösen Blick, jedermann sieht es dir an.«
»Ich hatte noch nie mit dem Satan zu tun!«
»Du reitest nachts auf deinem Besen durch die Lüfte, vergiftest Tiere, bringst Krankheiten über die Menschen.«
»Das ist alles gelogen!«
»Du bist eine Gesetzlose, eine Vogelfreie, willst du das etwa auch leugnen?«
»Nein, das nicht.«
»Die Geliebte Ken Kettons bist du; es würde mich nicht wundern, wenn auch er mit den schwarzen Mächten paktieren würde. Er versteckt sich mit seinen Kumpanen im Wald.«
»Daran ist Count Gilford schuld, das weißt du.«
»Der Count ist ein ehrenwerter Mann.«
»Pah, daß ich nicht lache. Er preßt seinem Volk Wahnsinnssteuern ab, knechtet die Menschen, unterjocht sie auf die grausamste Weise. So ein Mann soll ehrenwert sein? Er heißt dein Treiben gut. Auf seinen Befehl werden täglich Menschen mißhandelt, gefoltert und getötet. Er ist ein widerliches Scheusal, genau wie du.«
Der Hexenjäger trat auf Myrna zu, packte sie und riß sie auf die Beine. Mit dem Handrücken schlug er sie ins Gesicht. Wenn er sie nicht festgehalten hätte, wäre sie umgefallen.
Man schrieb das Jahr 1692. Auswanderer von Europa hatten die Inquisition in die Neue Welt gebracht, und vor allem Salem bei Boston hatte mit seinen Hexenprozessen traurige Berühmtheit erlangt.
Darkwood Forest lag zwischen Boston und New York. Dieses Gebiet wurde von Michael Gilford beherrscht, einem schurkischen Count, dem nur sein eigenes Wohl wichtig war, nicht aber das des Volkes.
Seine Soldaten waren ständig unterwegs, um Steuern einzutreiben und Menschen zu bestrafen, die sich in ihrer Verzweiflung dagegen auflehnten. Auch Ken Ketton mußte dieses Los tragen.
Die Soldaten des Counts brannten sein Haus nieder, seine Schwester kam in den Flammen um. Ketton floh als Gesetzloser in den Wald, und Männer, die sein Schicksal teilten, schlossen sich ihm an.
Auch Frauen und Greise stießen im Laufe der Zeit zu ihm. Er schickte keinen zurück. Alle durften bleiben, obwohl das nicht ungefährlich war, denn die Soldaten des Counts durchstreiften unermüdlich den Wald, weil sie Ken Ketton und seinen Freunden das Handwerk legen wollten, denn die Vogelfreien überfielen Reisende und Händler und nahmen sich, was sie zum Leben brauchten.
Bei einem Überfall auf Kettons Lager fiel den Soldaten Myrna, die Freundin des Anführers der Gesetzlosen, in die Hände. Sie brachten sie zum Count, und dieser ließ sie in den Kerker werfen.
Als einer seiner Vertrauten meinte, sie müsse eine Hexe sein, schickte er Stockard Ross zu ihr und verlangte, der Hexenjäger müsse dafür sorgen, daß das Mädchen ein Geständnis ablegte.
Noch brachte Myrna den Willen auf, sich dieser Forderung zu widersetzen, aber sie wußte, daß es zu viele Foltermethoden gab. Der grausame Hexenjäger würde sie alle anwenden. Früher oder später würde er ihren Willen brechen. Vor diesem schmachvollen und leidvollen Moment hatte Myrna Angst.
Sie lehnte an der Wand, nachdem Stockard Ross sie losgelassen hatte, und starrte den Hexenjäger haßerfüllt an. Verzweifelt dachte sie an Ken Ketton, den sie nicht wiedersehen würde.
Ihr Leben war dem Untergang geweiht. Sobald der Inquisitor ihr das Geständnis abgepreßt hatte, würde man sie
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