031 - Der Puppenmacher
Gesicht.
»Gott wird dir vergeben«, sagte Dorian. »Du weißt nicht, was du tust.«
Das Mädchen kreischte auf und zerkratzte ihm mit den Nägeln das Gesicht.
Dorian spürte bereits den kalten Stein in seinem Rücken und die Arme wurden ihm so heftig nach unten gezogen, als wollte man sie ihm brechen. Er verbiß den Schmerz und hob den Kopf, um Coco ansehen zu können. Sie hatte die Augen geöffnet und erwiderte seinen Blick ausdruckslos.
»Soll das das Ende sein?« fragte er sie.
Coco zeigte keine Reaktion. Ihr Lebenswille schien gebrochen.
Tiefe Resignation befiel Dorian. Er glaubte nicht mehr, daß sie das ihnen zugedachte Schicksal abwenden konnten. Doch plötzlich ging mit den Teufelsanbetern eine Wandlung vor sich. Sie ließen von Dorian ab und wichen zurück.
Copello schrie vor Wut auf und rief: »Tötet sie alle!«
Aber seine Jünger gehorchten ihm nicht mehr. Etwas anderes hatte sie in Bann geschlagen, das mächtiger zu sein schien, als die suggestive Kraft des Dämons.
Dorian wandte den Kopf, um zu sehen, was das war.
Eine hochaufragende Gestalt, schlank, grazil und so unwirklich wie ein Wesen aus einem Traum war in das Gewölbe getreten. Es hatte die Augen geschlossen, aber es bewegte sich mit traumwandlerischer Sicherheit.
Phillip, der Hermaphrodit!
Die Teufelsanbeter wichen vor ihm an die Wände zurück, so daß sich eine Gasse bildete, durch die er schreiten konnte. Auch Copello zog sich zurück, bis er mit dem Rücken gegen die Wand stieß. Der Dolch entfiel seiner Hand und fiel klirrend zu Boden. Dann entglitt ihm der Totenschädel aus den klammen Fingern.
Dorian sprang vom Opferstein, griff nach einem Dolch, den ein Teufelsanbeter verloren hatte, und durchsäbelte die Stricke, die Coco an den Opferstein fesselten. Er half ihr auf die Beine und legte ihr seinen Kapuzenmantel um die Schultern. Sie schenkte ihm dafür ein zaghaftes Lächeln.
Dann konzentrierte sich Dorian wieder auf die Geschehnisse. Erst jetzt erkannte er die Bewegung zu Phillips Füßen. Dort schritt eine schweigende Prozession kleiner Wesen einher – allen voran die Alina-Puppe. Es war offensichtlich, daß sie die Führung über die anderen fünf verbliebenen Puppen übernommen hatte.
Dorian blickte kurz zu Roberto Copello hin. Sein Gesicht, das ständig das Aussehen änderte, war eine Maske des Entsetzens. Er stemmte die Hände gegen die Wand und stand sprungbereit da, aber er war zu keiner Bewegung fähig. Er starrte nur mit geweiteten Augen den Wesen entgegen, deren Herr und Meister er war, über die er jedoch keine Gewalt mehr hatte.
Jetzt hatten die Puppen das Podest erreicht und sprangen behende hinauf. Sie formierten sich zu einer Linie und marschierten weiter auf Copello zu.
»Nein!« sagte dieser krächzend.
Er hatte nichts Dämonisches mehr an sich. Er war nur noch ein vor Angst zitterndes Bündel, dem die Todesahnung ins Gesicht geschrieben war.
»Geht weg! Verschwindet! Asmodi, zertrete diese Ratten!« Aber Asmodi, der oberste Fürst der Finsternis, erhörte ihn nicht.
Die Puppen hatten ihn beinahe erreicht, als Dorian – einer plötzlichen Eingebung folgend – sich hinunterbeugte und die Chapman-Puppe ergriff. Chapman wehrte sich verzweifelt gegen die Riesenhand, die ihn ergriffen hatte, aber Dorian ließ ihn trotz Kratzens und Beißens nicht los. Inzwischen hatten die anderen fünf Puppen ihren Schöpfer erreicht. Sie schnellten sich wie auf ein Kommando vom Boden ab und sprangen ihn an. Copello versuchte sich ihrer zu erwehren, aber sie waren zu wendig und flink für seine lahm wirkenden Abwehrbewegungen. Zwei verkrallten sich in seiner Kehle, eine dritte saugte ihm ein Auge aus. Die anderen krochen ihm unter die Kleider. Copello bäumte sich noch einmal auf.
»Asmodi, hilf mir!« flehte er mit schauriger Stimme.
Diesmal erhörte ihn der Fürst der Finsternis. Er schickte einen Blitz, in dem der Puppenmacher mitsamt seinen Geschöpfen vernichtet wurde.
Stille lastete sekundenlang über dem Gewölbe, doch plötzlich war die Hölle los. Der Bann war von den Teufelsanbetern abgefallen. Obwohl sie noch immer unter der Einwirkung der Drogen standen, konnten sie die Situation einigermaßen richtig einschätzen. Hatte sie der Schreck im ersten Augenblick auch gelähmt, so beflügelte er sie jetzt. In wilder Panik flüchteten sie Hals über Kopf auf den Ausgang des Kellers zu. Das furchtbare Geheul der Vampire, die sich um ihre Opfer geprellt sahen, verfolgte sie, bis sie das Anwesen Lord Haywards
Weitere Kostenlose Bücher