031 - Die blaue Hand
spanische Freunde hat. Da ist zum Beispiel eine junge Dame, die er häufig sieht, Condesa Manzana. Haben Sie schon von ihr gehört?«
»Ich lese ihren Namen gelegentlich in der Zeitung.«
»Es verkehren noch andere Spanier bei ihm, besonders ein gewisser Villa. Auch habe ich erfahren, daß Mr. Groat fließend Spanisch spricht.«
»Das ist merkwürdig.« Mr. Salter lehnte sich im Sessel zurück. »Sein Großvater hatte auch viele spanische Freunde. Vielleicht gibt es irgendeine spanische Verwandtschaft in der Familie. Der alte Danton, ich meine Jonathan Dantons Vater, verdiente den größten Teil seines Vermögens in Spanien und Zentralamerika. Die Dantons waren eigentlich eine sonderbare Familie, sie lebten alle sehr zurückgezogen und für sich, und ich glaube, Jonathan Danton hat in den letzten Jahren seines Lebens kaum ein Dutzend Worte mit seiner Schwester gewechselt. Ich kenne auch andere Familien, in denen dergleichen vorkommt.«
»Hat der Vater Dantons Mrs. Groat irgendein Vermögen hinterlassen? Er hatte doch nur zwei Kinder? Den Sohn und diese Tochter?«
»Er hat ihr keinen Penny vermacht. Sie lebte in Wirklichkeit von der Mildtätigkeit ihres Bruders. Ich weiß nicht, warum der Vater sie nicht mochte. Auch Jonathan wußte es nicht, denn der Alte sprach sich darüber nie aus. Jonathan hat sich einige Male mit mir darüber unterhalten, womit seine Schwester sich wohl die Abneigung ihres Vaters zugezogen haben könnte. Diese Abneigung, um nicht zu sagen Feindschaft, war der Grund, warum er seine Tochter im Testament vollständig überging. Mag sein, daß er sich über die Heirat mit Mr. Groat ärgerte, der keine besondere gesellschaftliche Stellung einnahm. Er war nur Angestellter in Dantons Liverpooler Büro. Er wußte sich in Gesellschaft nicht zu bewegen, hatte ein unfreundliches Wesen und stand auch mit seiner Frau nicht auf gutem Fuß. Die arme Lady Mary war die einzige, die ihn gut behandelte. Seine Frau haßte ihn, doch den eigentlichen Grund kenne ich nicht. Als er starb, hinterließ er sein Geld einem entfernten Vetter. Es waren etwa fünftausend Pfund, der Himmel mag wissen, woher er die hatte. - Aber nun machen Sie, daß Sie fortkommen, Steele!« rief Salter verzweifelt. »Sie bringen mich immer wieder auf diese alten Geschichten!«
Am nächsten Morgen - er hatte diesen Vormittag freigenommen -suchte Jim das Ministerium des Innern auf. Er wollte das Geheimnis aufklären, das über Madge Benson lag. Weder das Polizeipräsidium noch die Zentraldirektion der Gefängnisse waren bereit gewesen, einem Privatmann irgendwelche Auskünfte zu geben. Darauf hatte er sich in seiner Verzweiflung ans Büro des Unterstaatssekretärs gewandt. Dort saß nämlich ein Freund von ihm, ein Mann, mit dem zusammen er im Krieg in Frankreich gewesen war.
Als Jim zu dem vereinbarten Treffen erschien, empfing ihn der Freund sehr herzlich. Er nahm ein Blatt Papier von seinem Schreibtisch.
»Leider kann ich Ihnen nur wenig in dieser Angelegenheit mitteilen. Eigentlich dürfte ich Ihnen ja überhaupt nichts darüber sagen - aber hier ist die Auskunft, die mir die Gefängnisdirektion gesandt hat.«
Jim las die wenigen Zeilen, die darauf standen: Madge Benson, 26 Jahre alt, Hausmädchen. Ein Monat Gefängnis wegen Diebstahls. Verurteilt vom Polizeigericht in Marylebone, 5. Juni 1911. Überführt nach Holloway-Gefängnis. Entlassen am 2. Juli 1911.
»Wegen Diebstahls? Man weiß natürlich nicht, was sie gestohlen hat?« fragte Jim.
»Nein. Ich würde Ihnen raten, den Gefängniswärter in Marylebone aufzusuchen. Diese Leute haben oft ein außerordentlich gutes Gedächtnis für Personen. Außerdem könnten Sie dort die Akten über die Verurteilung einsehen. Aber es wäre besser, wenn Sie Mr. Salter bitten, einen Antrag zu stellen. Einem Rechtsanwalt wird man die Einsicht nicht verweigern.« Gerade dies wollte Jim ja lieber vermeiden.
9
Allmählich gewöhnte sich Eunice Weldon an ihre neue Umgebung. Seit Mrs. Groat krank war, bekam sie mehr Arbeit, wie Digby Groat vorausgesagt hatte. Er ließ sie auch die Haushaltungsbücher durchsehen und ordnen. Sie war erstaunt, wie sparsam, ja geizig die alte Frau haushielt.
Eines Nachmittags, als sie den Sekretär aufräumte, blieb sie bewundernd vor dem alten schönen Möbelstück stehen, das halb Schreibtisch, halb Bücherschrank war. An einer besonders schönen Stelle des Seitenteils strich sie mit den Fingerspitzen über die glatte, polierte Fläche des dunklen Mahagoniholzes.
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