031 - Die blaue Hand
»Glauben Sie, daß Ihre Beschäftigung Sie befriedigen wird?«
»Ich weiß noch gar nicht, um was es sich handelt.«
»Meine Mutter ist ein wenig sonderbar, ich möchte fast sagen, exzentrisch. Aber ich glaube, Sie sind verständig genug, um mit ihr fertig zu werden. Die Arbeit ist bestimmt nicht schwierig, und ich hoffe, daß Sie mir bald auch bei meinen anthropologischen Studien helfen können. Ich studiere nämlich Gesichter und Köpfe. Zu diesem Zweck habe ich unzählige Fotografien aus allen Teilen der Welt gesammelt. Die Anthropologie ist in unserem Lande bis jetzt sehr vernachlässigt worden. Die Italiener haben es darin weitergebracht. Vielleicht haben Sie schon von Mantegazza und Lombroso gehört?«
»Das sind die großen Kriminalisten, nicht wahr?« sagte sie zu seinem Erstaunen. »Natürlich würde ich Ihnen sehr gern bei dieser Arbeit helfen, wenn Ihre Mutter mich manchmal freigibt.«
»Ach, es wird sich bestimmt machen lassen.«
Ihre Hand lag auf dem Tisch, ganz nahe bei der seinen, und er war in Versuchung, sie zu streicheln. Doch er beherrschte sich - ja, wenn es irgendeine andere Frau gewesen wäre, dann hätte er liebenswürdig seine Hand auf die ihre gelegt; sie hätte verwirrt gelacht, die Augen niedergeschlagen, und das übrige hätte sich ergeben. Bei Eunice dagegen durfte er nicht so vorgehen, sonst würde sie wahrscheinlich heute abend nicht mehr im Hause sein. Er konnte warten, und sie war es wert, daß man wartete. Wie für die meisten Menschen bedeuteten auch für Digby Groat die Jagd nach Vergnügen und der Vorgenuß schon die Hälfte aller Freuden des Lebens.
Als sie aufschaute, begegnete sie einem seiner brennenden Blicke und errötete. Mit Überwindung sah sie ihn noch einmal an, doch konnte sie nichts Ungewöhnliches mehr bemerken.
7
Die ersten Tage in ihrer neuen Stellung waren eine harte Probe für Eunice Weldon. Am dritten Tag beklagte sie sich während des Frühstücks bei Digby, daß Mrs. Groat ihr überhaupt nichts zu tun gebe.
»Ich fürchte, daß ich hier überflüssig bin. Unter diesen Umständen kann ich auch kein Gehalt von Ihnen annehmen.«
»Warum denn?« fragte er schnell.
»Ihre Mutter zieht es vor, ihre Briefe selbst zu schreiben. Außerdem scheint ihre Korrespondenz nicht umfangreich zu sein!«
»Ach was, Unsinn!« entfuhr es ihm schroff. Als er aber sah, daß dieser Ton sie beleidigte, sprach er liebenswürdig weiter. »Meine Mutter ist nicht daran gewöhnt, daß man ihr hilft. Sie will alles selbst tun und glaubt, daß niemand sonst es kann. Deshalb sieht sie ja auch so angegriffen und alt aus, weil sie so abgearbeitet ist. Es gibt hundert Dinge, die sie Ihnen übertragen könnte. Sie müssen Geduld haben mit der alten Frau, Miss Weldon, es dauert einige Zeit, bis sie Zutrauen gefaßt hat.«
»Ich verstehe.«
Nach dem Frühstück ging Digby gleich in das kleine Wohnzimmer seiner Mutter. Er fand sie dort nicht, sie saß im Ankleideraum dicht am Kamin neben dem offenen Feuer. Er schloß die Tür und kam auf sie zu. Sie schaute ihn furchtsam an.
»Warum gibst du dem Mädchen nichts zu tun?« fragte er scharf.
»Ich habe doch gar nicht so viel zu tun«, sagte sie weinerlich. »Hör, Digby, das ist eine ganz überflüssige Ausgabe, und ich kann sie auch gar nicht leiden.«
»Du wirst ihr ab heute Arbeit geben - ich möchte dir das nicht noch einmal sagen müssen!«
»Sie wird mich nur ausspionieren. Du weißt doch, daß ich seit Jahren keine Briefe mehr geschrieben habe, ausgenommen an den Rechtsanwalt.«
»Du wirst ihr Arbeit geben!« wiederholte Digby. »Hast du mich verstanden? Laß sie alle Rechnungen durchsehen, die du in den letzten Jahren bekommen hast. Sie soll sie ordnen und alle Ausgaben in ein Buch eintragen. Auch deine Bankabrechnungen kannst du ihr geben. Sie soll sie mit den Schecks vergleichen. Verdammt - wenn du nur wolltest, hättest du genug für sie zu tun! Du kannst wahrhaftig auch selbst einmal auf eine Idee kommen, es ist gräßlich, daß ich dich immer beaufsichtigen muß!«
»Ich will es tun, Digby, ich will es ja ... Du bist wieder hart und böse zu mir. Ich hasse dieses ganze Haus!« rief sie plötzlich heftig. »Ich hasse die Leute hier im Hause. Heute morgen habe ich in ihr Zimmer gesehen, es sieht ja aus wie in einem Palast. Es muß Tausende von Pfund gekostet haben, nur diesen Raum einzurichten. Es ist einfach eine Sünde, so viel für ein einfaches Mädchen auszugeben!«
»Das geht dich gar nichts an! Du sollst ihr für
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