031 - Die Mörderpuppen der Madame Wong
lächelte und setzte sich.
Iwan fühlte sich unbehaglich. Er hatte den Chinesen, der
wie ein aus dem Boden geschossener Pilz auf einmal neben ihm stand, nicht
kommen sehen. Es war genau 24 Uhr – die vereinbarte Zeit.
●
Rod Shanters konnte den Blick nicht von der Puppe
abwenden, die lautlos näherkam. Die Augen in dem verkleinerten Gesicht zogen
ihn fast hypnotisch an. Sie bewegten sich, nahmen jede Bewegung des Engländers
in sich auf.
Er warf sich herum und riss den Vorhang von der
Haltestange. Die hölzernen Stufen knarrten unter seinen Schritten, als er
hinauf hetzte. In seinen Augen leuchtete der Wahnsinn. Zu viel hatte er während
der letzten Tage durchgemacht. Mit einem Aufschrei rannte er über das Deck des
kleinen Bootes. Er war vom Regen in die Traufe geraten, glaubte, seinem unheimlichen
Gegner entkommen zu sein.
Rod verließ das Boot und raste durch die Nacht, sah die
zahllosen blinkenden Lichter am Hafenrand nur als verzerrte, verwaschene
Schemen. Noch immer glaubte er, das leise Tapsen der kleinen Füße hinter sich
zu hören.
Später konnte er nicht mehr sagen, wie lange er über die
einzelnen Boote hinwegsprang und endlich das Land erreichte. Dort gönnte er
sich keine Sekunde Ruhe, flüchtete weiter durch die finstere Straße, die er auf
dem Hinweg genommen hatte.
Ständig glaubte er, tausend Augen würden ihn beobachten
und belauern. Er wurde immer unsicherer. Seine Gegner hatten bewiesen, dass sie
wussten, was auf dem Spiel stand, wenn er ihnen entkam. Sie wussten sogar von
seinem Kontakt zu Gun Yat.
●
Gun Yat – eine Puppe. Noch vor wenigen Tagen hatte der
Chinese ihm gegenübergestanden, ein Mensch aus Fleisch und Blut. Was hatte er
noch unter anderem gesagt?
»Man hat Sie gewarnt, Shanters. Lassen Sie es nicht zu
weit kommen. Wenn Sie die Puppe erhalten haben, dann ist es höchste Zeit, dass
Sie Hongkong den Rücken kehren. Die Puppen bringen den Tod – sie zeigen Ihnen,
dass Sie selbst bald eine werden sollen, Shanters!«
Darüber hatte Rod gelacht.
Doch Gun Yats Miene war ernst geblieben. Kannte der
Chinese zu diesem Zeitpunkt schon sein Schicksal? Oder war das Unheil
unerwartet, ohne das geringste warnende Vorzeichen über ihn hereingebrochen?
Rod überlegte, dass es vielleicht besser wäre, die
düsteren Seitenstraßen links liegenzulassen. Wenn er die hellen,
lichtüberfluteten Geschäftsstraßen aufsuchte, war die Chance weitaus geringer,
dass man ihn greifen konnte.
Unter den Passanten fühlte er sich sicher. Jeder war mit
sich selbst beschäftigt, keiner kümmerte sich um den anderen und er schien in
einer anderen Welt angekommen zu sein. Es wurde ihm nicht bewusst, dass er
manchmal jemand anrempelte, ohne sich zu entschuldigen, war unfähig, so etwas
in sich aufzunehmen. In seinem Kopf fühlte er nur eine große Leere.
Sobald er sich zu einer Entscheidung durchgerungen hatte,
ahnte er, dass er doch nur wieder in eine Sackgasse geraten war. Ganz Hongkong
war eine Falle für ihn geworden.
In sein Hotel konnte er nicht zurückkehren. Gerade dort
konnten sie auf ihn warten. Zum Flugplatz konnte er ebenfalls nicht, weil sich
seine Ausweispapiere im Geheimfach seines Koffers befanden.
Aber er musste eine Möglichkeit finden, eine Nachricht
weiterzugeben, auch wenn er selbst nicht mehr in der Lage war, etwas für sich
zu tun. Gun Yat war seine letzte Hoffnung gewesen, der einzige, der ihm hier
aus diesem Hexenkessel einen Ausweg hätte zeigen können.
Doch Gun Yat gab es nicht mehr.
Rod torkelte mehr, als dass er ging. Einmal stützte er
sich an einem Laternenmast am Rand des Bürgersteigs ab und hörte, wie ein Wagen
dicht an ihn heranfuhr.
Es war ein schwarzer Rolls-Royce. Hinter dem Steuer saß
ein livrierter Chauffeur, daneben eine gutangezogene Dame – eine Frau von Welt,
wie Rod Shanters auf den ersten Blick erkannte.
Sie sprach ihn mit einem besorgten Ausdruck in den Augen
an. »Ist Ihnen nicht gut, Sir? Sind Sie krank? Können wir irgendetwas für Sie
tun?«
Rod Shanters hatte Mühe, dem Blick der dunklen Augen
standzuhalten. Die gutgekleidete Chinesin war von einer faszinierenden
Schönheit.
»Sollen wir Sie ins Krankenhaus bringen?« Ihre Stimme
klang wie Honig, und sie nahm ihm das Wort förmlich von den Lippen.
Krankenhaus! Dort war er vorerst sicher. Er brauchte nur
eine halbe Stunde für sich; wenn es ihm gelang, vom Krankenhaus aus einen
Telefonanruf durchzubringen, dann ...
Das war die Lösung! Nun konnte doch noch alles
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