032 - Töchter der Nacht
drüben erwartete, hatte im Herrensattel gesessen, nahm nun aber einen Fuß aus dem Steigbügel und schwang das Bein über den Pferdehals, um es sich bequemer zu machen. Die untergehende Sonne spiegelte sich in ihren glänzenden Reitstiefeln.
Sie hielt die Hände über dem Knie gefaltet und sah lächelnd und belustigt Jim entgegen, der sich mühsam mit dem Pferd den Hang hinaufarbeitete.
Margot Cameron hatte ein Gesicht, wie es französische Künstler mit Vorliebe zu malen pflegten. Ihre roten Lippen zogen die Aufmerksamkeit auf sich, und daneben fiel die Röte der Wangen nicht ins Gewicht. Wenn man sie aus der Nähe betrachtete, bemerkte man, daß dieses feurige Rot natürlich war und nicht künstlich vorgetäuscht wurde. Und genauso echt waren ihre vollen, goldbraunen Locken.
Jim schwenkte schon von weitem den Hut zum Gruß und ritt dann auf sie zu.
»Wissen Sie«, empfing ihn die junge Dame, »eben kam mir so richtig zum Bewußtsein, daß Sie für Ihren Lebensunterhalt arbeiten.«
»Ich halte die Bürostunden ein. Das ist etwas ganz anderes als das, was Sie meinen. Wenn Sie schon so lange in England sind und noch nicht herausgefunden haben, daß die englischen Geschäftsleute nicht vor zehn Uhr morgens zu arbeiten anfangen, nachmittags um drei bereits zum Tee gehen und um vier Uhr das Geschäft schließen, dann haben Sie allerdings noch nicht viel gelernt!«
Ihre Augen blitzten fröhlich. Sonst war sie im allgemeinen ziemlich ernst, aber die Gegenwart Jim Bartholomews stimmte sie heiter. Sie schwang sich in den Sattel zurück und schob den rechten Fuß wieder in den Steigbügel.
Einige Zeit ritten sie schweigend nebeneinander her. »Nach allem glaube ich«, sagte Jim nach einer Weile, »daß ich Sie vielleicht nur noch ein einziges Mal sehen werde vor Ihrer Abfahrt nach den Vereinigten Staaten?« Sie nickte.
»Und wie lange bleiben Sie fort?« fragte er.
»Ich weiß es nicht«, erwiderte Margo t. »Meine Pläne für die Zukunft sind noch ziemlich ungewiß. Im Augenblick hängt alles davon ab, was Frank und Cecile beschließen. Sie sprachen schon davon, daß sie sich in England etwas kaufen und ein paar Jahre hierbleiben würden. Frank ist zwar nicht gerade erbaut davon, daß ich allein leben soll, andererseits ...« Sie vollendete den Satz nicht.
»Nun, was wollten Sie sagen?« fragte Jim interessiert.
»Andererseits wäre es ja nicht ausgeschlossen, daß ich selbst auch in England bliebe.«
»Ach ja«, sagte Jim leise.
»Würden Sie es gerne sehen?« fragte sie spontan.
»Nein«, erwiderte er offen, »ich glaube eigentlich nicht.
Aber Ihre Anwesenheit hier war sehr angenehm für mich. Wenn Sie nicht ein so großes Vermögen besitzen würden, wäre vielleicht alles bedeutend leichter ...«
Sie wartete, aber er sprach nicht weiter, und sie wollte ihn auch nicht fragen. Sie hatten die wilde Moorgegend erreicht. Fern am Horizont erhob sich Hay Tor und sah fast wie eine blaugraue Wolke aus. Unten im Tal zog sich als silbernes Band der Dart-Fluß durch die grüne Landschaft.
»Dies ist der einzige Platz in England, wo es sich zu leben lohnt«, sagte sie und atmete tief.
Jim hielt sein Pferd an und zeigte mit der Reitpeitsche über das Moor hin.
»Sehen Sie dort drüben das weiße Haus? In Wirklichkeit ist es gar keins. Ich glaube, es wurde als Irrenhaus gebaut und war dann das Jagdschloß eines Kaisers.«
»Ja, ich sehe es«, erwiderte sie und hielt die Hand über die Augen, um das grelle Sonnenlicht abzuhalten.
»Es heißt Tor Towers. Haben Sie schon einmal Mrs. Markham getroffen?«
»Markham?« wiederholte Margot und runzelte die Stirn. »Nein, ich glaube nicht.«
»Sie stammt auch aus den Vereinigten Staaten und ist eine steinreiche Dame.«
»Ach, eine Amerikanerin? Merkwürdig, daß wir uns nie begegnet sind, nachdem wir doch ein ganzes Jahr in der Gegend lebten.«
»Ja - ich selbst habe sie auch nur ein einziges Mal gesehen«, versicherte Jim. »Sie ist eine Kundin unserer Bank. Aber gewöhnlich wird sie von Sanderson bedient, der sie auch berät, wenn sie irgendwelche Fragen hat.«
»Ist sie jung oder alt?«
»Oh, noch sehr jung«, antwortete Jim begeistert. »Und sie ist so schön wie ... Nun, haben Sie das Gemälde ›Der tote Vogel‹ von Greuze im Louvre gesehen? Sie erinnert mich an dieses schöne Bild, und man könnte sich ganz gut denken, daß Greuze es nach ihr gemalt habe, obwohl das natürlich schon zeitlich ausgeschlossen ist. Auch die Farbe der Haare stimmt nicht.«
Sie sah
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