0333 - Einer blieb übrig
ich darum, Freda Kendals Zimmer sehen zu dürfen. Es lag neben dem des kleinen Jungen. Ich untersuchte alles, fand aber nicht den geringsten Anhaltspunkt. Nur erschienen mir die im Schrank hängenden Kleider etwas zu elegant und zu teuer für eine Kinderpflegerin.
***
Es war sechs Uhr morgens, als ich zum Office zurückfuhr. Ich veranlasste dort als Erstes, dass einer unserer Leute die Wache in der Atlantic Avenue übernahm und gab ihm genaue Instruktionen.
Dann erst sah ich den Zettel, den Doc Baker mir hingelegt hatte.
»Kommen Sie sofort ins Labor. Ich habe eine Überraschung für Sie.«
Der Doc saß im Vorraum der Leichenhalle und spielte mit dem Wärter Karten. Als er mich sah, ging er voraus in den Sektionsraum.
Auf dem weiß emaillierten Tisch lag eine verhüllte Gestalt.
»Der Kollege von der City Police hat ausnahmsweise recht«, sagte er.
»Wieso?«, fragte ich neugierig.
»Der dreikantige Dolch hat die Wunde, in der er steckte, nicht verursacht. Wie der Kollege sagte, wurde das Mädchen mit einer Art Schlachtermesser erstochen. Allerdings war sie da schon tot. Man hat ihr nämlich vorher noch Arsen eingegeben, und zwar im Tee.«
»Und warum dann der Stich?«
»Unterhalb der Wunde ist die Haut bläulich verfärbt. Ich halte es für den Rest einer Tätowierung. Der Mörder legte offenbar Wert darauf, dass diese Tätowierung unbemerkt bleibt. Darum die auffallend große Wunde.«
Ich bat Dr. Baker, die Wunde fotografieren zu lassen und mir die Vergrößerung, sobald es ging, rüberzuschicken.
Er versprach das, und ich ging wieder ins Office.
Was zuerst lediglich als ein brutaler Mord erschienen war, entwickelte sich immer mehr zu einer komplizierten und mysteriösen Angelegenheit.
Das Kindermädchen war angeblich zu der kranken Mutter gefahren, kurz darauf aber vergiftet worden. Dann wurde ein Messer in ihre Schulter gestoßen und zwar so, dass damit eine Tätowierung unkenntlich gemacht wurde. Dann erst stieß man den dreikantigen Dolch in die Wunde und brachte die Tote zum Familiengrab des Senators auf den Friedhof.
Der Mörder war reichlich umständlich vorgegangen, und dafür musste er einen Grund haben. Die nächstliegenden Fragen waren: Was bedeutete die Tätowierung?
Warum hatte man den auffallenden Dolch in die Wunde gesteckt?
Warum war Freda überhaupt ermordet worden, und warum hatte man sie auf das Familiengrab gelegt?
Die letzten beiden Fragen glaubte ich bereits beantworten zu können. Der Erpresser hatte ihr nicht mehr getraut und sie darum umgebracht. Die Leiche sollte auf dem Grab gefunden werden, um einen anderen vor Verrat zu warnen oder zu drohen, es werde ihm das Gleiche geschehen, wenn er den Mund nicht halte.
Es war sieben Uhr morgens, und so beschloss ich, jetzt doch Phil zu wecken. Als ich anrief, war er nicht gerade entzückt über die frühe Störung. Als er aber hörte, was vorlag, versprach er, in D-Zug-Geschwindigkeit anzubrausen.
Inzwischen ließ ich eine Fotografie des Dolches an sämtliche Tageszeitungen schicken und bat darum, sie zu veröffentlichen. Es handelte sich um ein so ausgefallenes Stück, dass sich möglicherweise jemand daran erinnerte, es gesehen zu haben.
Dann schickte ich zwei unserer Leute zum Friedhof, um die Umfassungsmauer nach Spuren abzusuchen. Irgendwie musste man die Tote doch hereingeschafft haben.
Darüber wurde es acht Uhr. Ich konnte jetzt das Stellenvermittlungsbüro für herrschaftliches Personal anrufen. Mrs. McNeil war angeblich stark beschäftigt, aber ich bekam sie dann doch an den Apparat.
»Hier ist Cotton, FBI«, meldete ich mich. »Haben Sie vor ungefähr sechs Wochen ein Mädchen namens Freda Kendal vermittelt?«
»Das kann ich auf Anhieb nicht sagen. Ich muss nachschlagen und dazu muss ich die Adresse wissen, an die wir die Betreffende gewiesen haben.«
»Mrs. Sophia Scillo in der Atlantic Avenue in Richmond.«
»O ja, jetzt erinnere ich mich. Warten Sie einen Augenblick.«
Es vergingen ein paar Minuten, bis die Frau zurückkam.
»Hier habe ich die Akte. Freda Kendal meldete sich bei uns mit erstklassigen Empfehlungen. Zu gleicher Zeit rief uns Mrs. Scillo-Blackpoint an und bat dringend um eine Nurse für ihren kleinen Sohn. Wir schickten die Kendal dorthin, und sie wurde eingestellt.«
»Erinnern Sie sich noch, von wem die Zeugnisse des Mädchens waren?«
»Da fragen Sie mich zu viel. Ich habe hier den-Vermerk: erstklassige Empfehlungen.« Mehr konnte ich von der Frau nicht erfahren. Als Nächstes erledigte
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