0338 - Grauen in der Geisterstadt
murmelte Zamorra. »Sie ist also wirklich tot…«
»Ja. Es ist nicht deine und nicht meine Schuld.«
»Dann ist das Paradoxon gefestigt«, sagte Zamorra dumpf. »Dann ist ohnehin alles vorbei. Laß uns gemeinsam Selbstmord begehen. Wer weiß, wie unsere Zeit jetzt aussieht.«
»Du willst dich selbst aufgeben? Das kenne ich nicht von dir, mein Feind. Warum schaust du dir die veränderte Zeit nicht erst an, bevor du urteilst? Ich jedenfalls will zurück, und ich kenne genug Mittel, dich zu zwingen. Nimm dein Amulett und versuche ein Zeittor in unsere Welt zu öffnen. Sofort!«
»Wie willst du mich zwingen?« fragte Zamorra. »Indem du mir mit dem Tod drohst?«
»Indem ich dir mit Folter drohe«, sagte Wang lächelnd, aber geschäftsmäßig kühl. »Ich lasse zunächst vor deinen Augen den Römer zu Tode foltern, und anschließend bist du an der Reihe, wenn du dich dann immer noch weigerst. Aber du wirst nicht sterben. Es gibt Mittel, das Opfer eine Ewigkeit lang bis an die Grenze des Todes zu quälen, Stunde um Stunde und Jahr um Jahr, aber es stirbt nicht. Doch die Qual, der Schmerz, die Angst und die Gewißheit, daß es kein Ende findet, bleiben…«
»Du Ungeheuer«, flüsterte Zamorra. »Ich kenne dich nicht wieder, Wang.«
»Sieh es so: Ich kämpfe um die Rückkehr in die Gegenwart, die mir Leben und Macht verspricht. Und dazu benutze ich jedes, auch das radikalste Mittel. Fangt an«, rief er den Skelett-Kriegern zu.
Die beiden Knochenmänner näherten sich dem gefesselten Römer, der jedes Wort nur zu deutlich verstanden hatte. Es war ein Phänomen an sich, daß sie, obgleich sie alle aus verschiedenen Epochen und Kulturen kamen, sich gegenseitig mühelos verstanden. Dabei war es gleich, ob der Römer klassisches Latein, der Mongole seinen Dialekt oder Zamorra Französisch sprach. Irgend eine Magie, die über ihnen schwebte, sorgte für eine unmißverständliche Übersetzung.
Tanista keuchte entsetzt. Die Augen traten ihm aus den Höhlen, als einer der Knochenmänner auf ihn zutrat und begann, ihm die Lederriemen des Harnischs zu lösen.
»Nein«, murmelte Zamorra. »Nicht. Laßt ihn in Ruhe. Ich versuche es -irgendwie.«
Aber die Leere in ihm war schwarz und unendlich und fraß an seiner Seele.
***
Churk, der Zeit-Dämon, hatte sich sorgsam verborgen, als Wang Lee Chan durch die Geisterstadt ging und sich nach Nicole umsah. Er wollte nicht entdeckt, werden. Er mußte erst einmal selbst sondieren, wie die Lage der Dinge war. Ein Zeitparadoxon hatte ihm ein neues Leben verliehen, und das gedachte er auszunutzen. Ihn selbst würden Veränderungen jedweder Art nur am Rande treffen. Er konnte durch seine magische Besonderheit Eingriffe in die Zeit vornehmen. Er war es ja auch damals gewesen, der den Römer, den Mongolen, den Wikinger und das Franzosenpärchen in diese Zeit geschleudert hatte. Leonardo deMontagne hatte noch einen Skelett-Krieger hinzufügen lassen.
Die Eingriffe hatten keine besonderen Folgen für das Weltgeschehen gezeitigt. Die Zeit hatte ihre eigenen Gesetze — in besonderen Situationen…
Churk wartete ab. Mit seinen magischen Sinnen lauschte der fünfarmige Dämon in die nähere Umgebung. Er stellte fest, daß da jener Professor Zamorra war, der Mongole und der Römer. Und weitere zwei von Leonardos Knochenmännern. Der dritte, der das Mädchen Nicole Duval getötet hatte, war im gleichen Moment spurlos verschwunden. Wahrscheinlich, fand Churk, hatte der Zeitstrom ihn aus irgend einem Grund selbständig aus der Weltgeschichte hinausgestrichen.
Professor Zamorra versuchte ein Zeittor zu schaffen.
Churks Echsengesicht verzog sich zu einem breiten Grinsen. Diese Menschlein waren zäh. Sie gaben einfach nicht auf. Aber Zamorra würde es allein nicht schaffen. Churk gestand sich allerdings auch ein, daß es für ihn allein ebenfalls schwierig werden würde. Er mußte zusehen, daß er Zamorras Amulett bekam. Vielleicht konnte er es benutzen und seine eigene Kraft damit verstärken. Dazu mußte er es aber erst einmal haben.
Wang wollte ihn töten, hatte das Mädchen gesagt. Also mußte er sich vor Wang, dem Mongolen, hüten. Es konnte sein, daß das Mädchen gelogen hatte, aber Churk war vorsichtig. Er beschloß, die Dunkelheit abzuwarten.
***
Leonardo deMontagne fühlte, wie es ihm spürbar besser ging. Die Welt begann sich wieder zu stabilisieren.
Auch Churks dreidimensionaler Schatten tauchte nicht wieder auf. Der Fürst der Finsternis beschloß, Eysenbeiß in dessen Quartier
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