0338 - Grauen in der Geisterstadt
»Ich bin mir nur dessen sicher, was ich sehe«, grollte Eysenbeiß. »Also, was ist nun?«
»Ich zeige Euch Fleming und was er gerade tut«, erbot sich Eysenbeiß unterwürfig. Er führte seinen Herrn und Meister in einen anderen Teil der Felsenkavernen, in der er sich eingerichtet hatte. Dort stand ein flacher, kreisrunder Wasserbehälter von gut fünf Metern Durchmesser. Eysenbeiß zitierte eine Beschwörungsformel. Hier, in den Tiefen der Hölle, fiel es ihm sehr leicht, den Vassago zu beschwören und ihn zu zwingen, aus der Wasserfläche seinen Spiegel zu formen, der ihm Bilder eines weit entfernten Geschehens zeigte.
Eysenbeiß und Leonardo sahen Bill Fleming, Professor Zamorras ersten und ältesten Kampfgefährten…
***
Man nannte sie die Zeitlose.
Vielleicht war sie eine der Unsterblichen. Die Zeit verging, ohne sie zu berühren. Ihre Haut war blau, und aus ihrem Rücken wuchs ein paar wunderschöner Schmetterlingsflügel. Von der gleichen Hautfarbe wie sie war auch das geflügelte Einhorn, mit dem sie durch Zeit und Raum zu reisen pflegte.
Sie verweilte.
Einige miteinander verknüpfte Schicksale interessierten sie. Vor Jahrmillionen hatte sie auf der Erde einen Mann namens Zamorra kennengelernt, der aus der Zukunft gekommen war. Sie hatte gewußt, daß sie sich Wiedersehen würden.
Er war ihr dann in die Quere gekommen, als sie den Fluch brechen wollte, der über einem alten Piratenschiff lag. Es wäre alles einfacher verlaufen, wenn Zamorra sich nicht eingemischt hätte. Schlußendlich war es zwar so ausgegangen, wie die Zeitlose es geplant hatte, aber ohne Zamorras Einmischung hätte es keine Komplikationen gegeben.
Dabei hatte er nichts von ihrem Tun geahnt, sonst hätte er sich mit Sicherheit wieder zurückgezogen und sie gewähren lassen, dessen war sie sicher. Aber sie hatte sich ihm nicht offenbaren können. [1]
Zamorra war dann nach Italien gereist. Die Zeitlose hatte ihn weiter beobachtet, weil sein dortiges Handeln mit dem Fall des Gespensterschiffes zu tun hatte. Und sie stellte fest, daß er gegen zwei äußerst gefährliche Gegner zu kämpfen hatte: Den Mongolen Wang Lee Chan und einen Mann namens Magnus Friedensreich Eysenbeiß. Beide waren sie Diener des Fürsten der Finsternis. Aber Wang erschien der Zeitlosen dank seiner Kämpferqualitäten und seiner relativen Unverletzbarkeit als der Gefährlichere.
Um Zamorras Position in der Gegenwart entscheidend zu verbessern, beschloß die Zeitlose, ihm zu helfen. Wang Lee Chan mußte aus der Weltgeschichte verschwinden. Teilweise durch ihn hatte Zamorra Niederlagen hinnehmen müssen, oder er war zumindest erheblich behindert worden.
Aber die Zeitlose wußte, daß sie Wang nicht besiegen konnte. Niehl jetzt, nicht hier. Seine bewußt herbeiführbare Unverletzbarkeit wirkte auch gegenüber der Zeitlosen. Also mußte sie ihn in der Vergangenheit, bekämpfen.
Sie wußte sehr wohl, daß sie dadurch ein Zeitparadoxon hervorrufen würde. Aber das war kontrollierbar. Nur Unwesentliches würde sich verändern. Dazu aber durfte sie nicht selbst zu intensiv ins Geschehen eingreifen.
Sie durfte nur den Anstoß geben. Alles weitere mußte sich von allein ergeben.
Sie mußte die Situation dahingehend verändern, daß Wang Lee niemals von Leonardo deMontagne unverwundbar gemacht werden konnte. Wenn er somit verletzbar blieb, stiegen Zamorras Chancen.
Das war alles, was die Zeitlose tun wollte. Dazu mußte sie in eine bestimmte Zeitepoche zurückgehen.
Sie traf alle Vorbereitungen dazu.
***
»Was machen deine Forschungen?« fragte Tandy Cant. Das Mädchen mit dem schwarzbraunen, langen Haar blieb vor Bill Flemings Arbeitstisch stehen. Der blonde Historiker blickte auf.
»Ich komme nicht weiter«, sagte er. »Der Stab entzieht sich einfach jedem meiner Zugriffe. Okay, ich kann ein wenig mit ihm zaubern, aber das ist auch alles. Zamorras Amulett kann bei weitem mehr, ein Dhyarra-Kristall niedrigster Ordnung ist dagegen ein Magie-Titan. Was der Prydo kann, kann selbst ein Zauberlehrling. Ich möchte das Ding am liebsten in die Ecke schmeißen und verbrennen. Wenn ich mir überlege, daß Eysenbeiß damit Wunderdinge vollbracht haben soll, wird mir anders.«
»Eine lange Rede für einen großen Mann«, sagte die Schwarzhaarige. Sie hielt ein großes Glas in der Hand, halb gefüllt mit Whisky und Eis. »Trink ein paar Schlucke, vielleicht kommt dir dann die Erleuchtung«, riet sie.
Bill Fleming grinste.
»Alkohol löst keine Probleme«, sagte er.
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