0338 - Grauen in der Geisterstadt
»Er schafft höchstens neue.«
Dennoch nahm er das Glas entgegen und trank. Er sah Tandy Cant an.
Sie erinnerte ihn stark an Manuela Ford, das Mädchen, das er geliebt hatte wie niemanden und nichts sonst auf der Welt. Manuela Ford war tot, bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen, und nichts und niemand vermochte sie wieder zum Leben zu erwecken. Der rote Dämon Goro’heel hatte Bill vorgaukeln wollen, er könne es. Aber Goro’heel hatte diesen Versuch mit dem Leben bezahlt.
Bill Fleming wollte keinen Manuela-Zombie. Tote blieben tot, was auch immer geschah.
Aber Tandy Cant lebte. Und sie löste in Bill Fleming einen Gefühlssturm aus, wie er ihn sonst nur bei Manuela erlebt hatte. Er konnte sich nicht dagegen wehren.
Tandy hatte es geschafft, ihn aus seiner Lethargie zu reißen.
Nach Manuelas Tod war Bill förmlich verfallen. Er war ein psychisches Wrack geworden. Er erschien nicht mehr an seinem Arbeitsplatz, er verdiente kein Geld mehr, und irgendwann waren die Ersparnisse aufgebraucht. Sein Telefon wurde gesperrt, und er begann zu trinken. Für seine Luxusappartementwohnung in einem der sündhaft teuren Hochhäuser auf Manhattan blieb er gut ein Vierteljahr lang die Miete schuldig. Er vernachlässigte sein Aussehen.
Und dann traf er Tandy. Es war Zufall. Er hatte sich endlich dazu durchgerungen, wieder einmal auf Dämonenjagd zu gehen. Auf dem Highway, den Daumen hochgereckt, ließ er sich von dem Mädchen aufgabeln. Tandy gab sich als angehende Geisterjägerin zu erkennen, und gemeinsam jagten sie die Bestie im Tal des Todes. Tandy bewegte sich dabei ein wenig sehr hart am Rand der Legalität, und Bill war fast sicher, daß sie teilweise darüber hinaus ging. Aber sie hatte Erfolg, und sie gefiel ihm.
Sie blieben zusammen.
Bill lebte wieder auf. Er wurde wieder annähernd so psychisch stabil, wie er es zu Manuelas Lebzeiten gewesen war. Aber er war dennoch anders geworden. Härter, kompromißloser in seinen Ansichten und seinem Handeln. Notfalls setzte er seine Ziele mit Gewalt durch. Aber so hart er tagsüber war, so sanft war er in den Nächten mit Tandy. Sie forderte ihn, und er war ihr verfallen.
Sie lebten zusammen. Bill hatte seinen Lehrstuhl an der Harvard University dennoch nicht wieder angenommen. Er spekulierte jetzt mit Aktien, von Tandy beraten. Innerhalb weniger Wochen hatte er einige hunderttausend Dollar zusammengebracht. Dennoch beschaffte Tandy ihm noch mehr Geld. Inzwischen war Bill reicher, als er es jemals früher gewesen war. Wie viele Schicksale an seinen Börsengeschäften zerbrochen waren, interessierte ihn nicht. Nur sein eigener Erfolg zählte.
Seine Wohnung in New York hatte er behalten. Aber er hatte sie um diverse luxuriöse Dinge ergänzt, die er sich jetzt als Millionär eher leisten konnte als früher.
Nebenher beschäftigte er sich intensiver denn je mit Magie. Sie fesselte ihn weitaus mehr als sein eigentlicher Beruf, die historische Forschung. Bill begann mit Weißer und auch mit Schwarzer Magie zu experimentieren - er wollte die Unterschiede erkennen. Und langsam begann er alles zu begreifen.
Nur den Prydo begriff er nicht.
Zamorra hatte ihm diesen einfachen Stab einst gegeben, der aus Holz zu bestehen schien und in dem doch eine starke magische Kraft wohnte. Zamorra hatte den Stab von Magnus Friedensreich Eysenbeiß erbeutet. Weil er selbst wenig Zeit dafür erübrigen konnte, hatte er Bill den Prydo damals gewissermaßen als Ablenkung gegeben. Die Beschäftigung damit sollte Bill von Manuelas Tod ablenken.
Inzwischen war Tandy eine weitaus bessere Ablenkung, aber Bill forschte dennoch unermüdlich weiter. Aber alle seine Versuche, die Geheimnisse des Prydos zu ergründen, scheiterten. Selbst die stärkste Magie half Bill nicht weiter.
Tandy streckte die schmale Hand mit den feingliedrigen Fingern nach dem Prydo aus. Sie ergriff ihn und betrachtete ihn eingehend, als habe sie ihn noch nie zuvor gesehen. Bill seinerseits verschlang Tandy mit seinen Blicken, wie sie in einem knappen Bikinihöschen und einer verknoteten, federleichten Bluse vor ihm stand, die Verführung in Person. Unwillkürlich öffnete Bill das Satinhemd weiter; ihm wurde wärmer.
»Kannst du dir vorstellen, daß der Prydo etwas mit der Zeit zu tun hat?« fragte Tandy.
»Mit der Zeit? Welcher Zeit?«
»Vielleicht kann man mit ihm die Zeit manipulieren«, überlegte das Mädchen und setzte sich auf die Kante des großen Arbeitstisches, dessen Platte aus spiegelblank poliertem Nußholz
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