034 - In den Krallen der Nebelhexe

Halbdunkel, das ringsum vorherrschte. X-RAY-3 verdrängte mit heftigen,
kraftvollen Arm- und Beinbewegungen viel Wasser und erreichte die beiden
schemenhaften Gestalten. Die eine hing schlaff wie eine Puppe vor ihm im
Wasser. Miriam! Sie gab kein Lebenszeichen mehr.
    Die andere
Gestalt war eine alte Frau mit strähnigem Haar. Sie trug alle Anzeichen eines
Körpers, der seit Tagen im Wasser lag.
    Im
Halbdunkeln erkannte er die Gesichtszüge nur schwach, wußte aber aufgrund der
Fahndungsfotos, die er gesehen hatte, daß es sich um Cindy Calhoon handelte.
    Die lebende
Leiche war bis zu den Hüften bereits wieder im Meeresboden versunken, grub sich
weiter ein und beabsichtigte, Miriam Brent mit in dieses nasse Grab zu nehmen.
    Larry packte
die weiche, schwabbelige Hand, die Miriams Fußgelenk umklammert hielt. Ein
einziger heftiger Ruck, und die Schwester war frei! So schnell wie möglich nach
oben und sich dann um das Gespenst aus der Tiefe kümmern… Doch das durchkreuzte
seine Pläne. Cindy Calhoon stieß aus dem Bodenloch hervor und griff ihn an!
X-RAY-3 trat gegen Kopf und Schultern der Leiche, schleuderte sie zurück und
gewann Spielraum und Zeit. Zeit, die Miriam zugute kam. In höchster Eile
strebte er der Wasseroberfläche zu. Wie lange befand sich Miriam schon unter
Wasser? Hatte sie überhaupt noch eine Chance? Er sah, daß Cindy Calhoons Leiche
herumglitt und ihn verfolgte. Das Haar wurde hochgetrieben, die Augen waren
unnatürlich weit aufgerissen, das Gewand klebte auf der weichen, weißen Haut…
Die Leiche stieg schnell empor und Larry hatte Mühe den Abstand zu halten. Er
spürte die Berührung der gierig nach ihm greifenden Hände. Geistesgegenwärtig
riß er die Beine empor.
    Da sah er
etwas unter sich, das aus Mund, Nasenlöchern und Ohren der Toten herauskam.
Weißer, leuchtender Nebel, der sich dicht zusammenballte und eine eigene
Gestalt annahm. Die Gestalt einer Frau. Die Nebelhexe! Die Leiche war durch den
Geist aus der Vergangenheit beseelt und belebt worden!
    Aus, gellte
es durch Larrys Hirn. Unter den gegebenen Umständen hatte er nun kaum mehr eine
Chance, Miriam an die Oberfläche zu bringen. Die Dinge entwickelten sich in
einem Tempo, die ihm nicht mehr die Möglichkeit ließen, ein geeignetes
Gegenmittel zur Bekämpfung der Nebelhexe zu finden. Nur körperlicher Einsatz
würde nicht viel bringen.
    Dennoch
stellte er sich darauf ein.
    Aber, was war
das?
    Die weiße,
schimmernde Nebelgestalt glitt an ihm vorbei, und schien plötzlich jegliches
Interesse an Miriam und ihm verloren zu haben. Die Nebelhexe stieg geräuschlos
aus dem Wasser und tauchte in den Nebel, während die Leiche, die sie vor
wenigen Augenblicken noch als Wirtskörper benutzt hatte, schlaff wie eine Puppe
auf den Meeresboden zurücksank.
    X-RAY-3 stieß
nach oben, schob Miriams Kopf über die Wasseroberfläche und schwamm eiligst an
Land zurück, zur Anlegestelle, wo Rose Margonny noch immer fassungslos stand.
    »Lebt sie…
noch…. oh, mein Gott… lebt sie noch?« stammelte sie, als Larry den reglosen
Körper seiner Schwester auf die Planken zog. Er begann sofort mit
Wiederbelebungsmaßnahmen. Mund-zu-Mund-Beamtung, das Pressen der Hände gegen
das Zwerchfell…
    Ein Schwall
Wasser kam über Miriams Lippen. Minutenlang währte der Kampf gegen den
Wassertod. Dann gewann X-RAY-3 diesen Kampf. Langsam und flach hob sich Miriams
Brustkorb.
    »Sie hat’s
geschafft«, sagte Larry Brent erschöpft, aber glücklich.
     
    ●
     
    Doch für ihn
blieb keine Gelegenheit, sich auszuruhen. Ein fürchterlicher Schrei hallte
durch die Nacht, er ging ihnen durch Mark und Bein. Es war ein Schrei, der über
die Lippen eines Mannes kam. Und, er kam vom Haus her! Larry Brent stürzte los
und hielt die Smith & Wesson Laser schußbereit in der Rechten. Der Vorteil
dieser Waffe gegenüber jeder anderen war, daß sie auch durch das unfreiwillige
Bad nicht in Mitleidenschaft gezogen worden war. Bei einer Laser gab es kein
Pulver, das naß werden konnte.
    Der Schrei
verebbte. Danach kehrte unheimliche Stille ein…
    Larry
erreichte den Platz vor dem Haus und sah, daß jemand auf dem Boden lag. Ein
Mensch. Und er registrierte gleichzeitig die Nebelhexe… Sie schwebte über der
reglosen Gestalt. Sekundenlang nahm der PSA-Agent den weißen Frauenkörper wahr,
der aus Nebel bestand. Die Nebelgestalt nahm an Umfang zu, die Formen
verwischten, wurden zu langen, dünnen Schleiern und Bahnen, die von dem anderen
Nebel ringsum aufgenommen wurden. Und