037 - Die seltsame Gräfin
Selbstsicherheit.
»Sergeant Braime?« stotterte sie. »Ich sprach von meinem Butler.«
»Und ich spreche von Sergeant Braime von der Kriminalpolizei, der sechs Monate lang in Ihren Diensten stand.«
»Aber - er wurde mir doch empfohlen von -«
»Von einer Gesellschaft zur Unterstützung früherer Gefangener. Damit wollte man Sie sicher machen. Er hatte größere Aussicht, von Mylady angestellt zu werden, wenn er schon ein Verbrechen begangen hatte.«
Im nächsten Augenblick war sie wieder gefaßt.
»Warum bringt man einen Detektiv in mein Haus? Das ist eine Beleidigung, ich werde die Sache sofort der Polizei anzeigen.«
Er schaute sich in dem Raum um, und seine Blicke streiften den Bücherschrank, der durch die Sicherheitstür verschlossen war.
»Sie haben dort ein Buch, das ich gern sehen möchte. Ich beabsichtigte schon gestern abend zu kommen, aber ich wurde leider abgehalten.«
»Ein Buch?«
»Ein Buch, das den Titel trägt: ›Das Leben Washingtons‹. Das ist doch ein ganz unschuldiger Titel, nicht?«
Sie ging zu dem Bücherschrank, nahm einen Schlüssel aus der Schublade ihres Pults und öffnete die mit einem starken Drahtnetz gesicherte Tür.
»Bitte - lesen Sie es zu Ihrer Beruhigung.«
Sie ging zur Tür, wandte sich um und beobachtete ihn. Aber er tat etwas Außergewöhnliches. Er nahm einen dicken, roten Handschuh aus seiner Tasche, zog ihn über die rechte Hand und riß dann das Buch aus dem Schrank heraus. Es knackte verdächtig, und ein hell leuchtender, blendender Funke sprang heraus. Weiter ereignete sich nichts. Er legte das Buch auf den Tisch.
»Eine gute Imitation«, sagte er ruhig. »Es ist ein Stahlkasten, und jeder, der ihn herauszunehmen versucht, kommt automatisch mit einem starken elektrischen Strom in Verbindung. Wo ist der Schalter?«
Sie gab keine Antwort. Ihr Gesicht sah plötzlich eingesunken und alt aus. Michael ging zur Tür, suchte einen Augenblick, beugte sich nieder und drehte an einem großen Schalter.
»Haben Sie den Schlüssel zu dem Stahlkasten?«
»Er ist nicht verschlossen«, sagte sie. Sie trat zu ihm und drückte auf eine Feder. Der Deckel sprang auf.
Das ›Buch‹ war, wie er vermutete, innen vollständig leer.
»Gibt es etwa ein Gesetz, das verbietet, sich eine Sparbüchse in Gestalt eines Buches anfertigen zu lassen?« fragte sie sanft. »Kann man in Ungelegenheiten kommen, weil man sein Eigentum vor diebischen Butlern und -Spürhunden von Detektiven schützt?«
»Es gibt ein Gesetz gegen Mord«, erwiderte Dorn kurz. »Wenn ich das Buch ohne Gummihandschuhe angefaßt hätte, wäre ich jetzt tot. Braime ist mit knapper Not davongekommen, weil er eine Konstitution wie ein Riese hat.«
»Ich habe Sie ja gar nicht darum gebeten, das Buch herauszuziehen.«
»Aber Sie haben mich auch nicht gewarnt«, sagte Michael mit grimmigem Lächeln. »Leer ist es auch -natürlich! Sie hatten einen Verdacht auf Braime und ließen ein kleines Notizbuch in Ihrem Schlafzimmer herumliegen, in dem Sie verschiedene Bemerkungen über das ›Leben Washingtons‹ machten. Braime las sie und ging in die Falle. Er wäre ein toter Mann, wenn ich nicht die Erste Hilfe geleistet hätte.«
Es entstand eine lange Pause.
»Ist das alles, was Sie zu sagen haben?« fragte Lady Moron.
»Nein, nicht alles - ich will wissen, wo Miss Reddle ist.«
»Ich fürchte, das kann ich Ihnen nicht sagen. Als sie heute früh entlassen wurde, wollte sie weder hierher noch in ihre Wohnung zurückkehren. Sie erklärte, daß sie einige Tage aufs Land gehen wollte, um sich zu erholen -«
»Drückte auch Mrs. Pinder den Wunsch aus, aufs Land zu gehen?« fragte er und fixierte sie mit eisigem Blick.
»Mrs. Pinder? Ich weiß nicht, wer das ist.«
»Wünschte Mrs. Pinder auch aufs Land zu gehen?« fragte er drohend. »Lady Moron, Sie stürzen sich und die Leute, die Ihnen verbündet sind, in fürchterliche Gefahr.«
Sie zuckte die breiten Schultern.
»Wenn diese Gefahr in nichts anderem als in dem Besuch eines theatralischen Detektivs am frühen Morgen besteht, dann sehe ich allem, was kommt, mit Gleichmut entgegen«, sagte sie und ging in die Halle hinaus. Michael Dorn folgte ihr.
Als sie zur Seite trat, um ihn zur Haustür zu lassen, sah sie Selwyn, der an der Seite des Autos stand und sich über die Tür lehnte. Er schien sich eifrig zu unterhalten - sie schaute ihn mit einem verächtlichen Lächeln an.
»Mein Sohn hat jemanden gefunden, dessen Intelligenz der seinen gleicht«, sagte sie, dann
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