0395 - Luzifers Paradies
verpflegten sie, daß sie Mühe hatte, ihre schlanke Linie zu behalten, ohne ihre Gastgeber dadurch zu beleidigen, daß sie die Köstlichkeiten einfach stehen ließ.
Nach der Vertreibung des Nachtmahrs hielt die Gastfreundschaft an. Da Teri absolut kein Geld für ihre Arbeit annehmen wollte, wurde sie gedrängt, ein paar Tage Gratisurlaub zu machen.
Da konnte sie nicht nein sagen. Es gefiel ihr in diesem Landstrich, in dem die Menschen noch urtümlich waren und in dem hier und da auch mal die Zeit vor hundert Jahren einfach stehengeblieben war. Sie genoß den majestätischen Anblick der Dolomiten mit ihren schneebedeckten Gipfeln und den gleichzeitig nur wenig tiefer blühenden Wiesen, und sie genoß die mit Macht vom Himmel herunter brennende Sonne. Dafür nahm sie schon mal in Kauf, daß sie, was ihre Freizügigkeit anging, zurückstecken mußte. Hier hatte sie nicht nur darauf zu achten, daß der Rocksaum nicht zu hoch und das Dekolleté nicht zu tief war, sondern konnte auch ihrem Hobby »Männerjagd« nicht so uneingeschränkt nachgehen wie anderswo. Aber das hatte seinen Ausgleich. Die männliche Dorfjugend von Vigo sorgte schon von sich aus dafür, daß Teris Nächte nicht zu langweilig wurden.
Tagsüber erkundete sie dann die Bergwelt. Anton Grundl, Sibylles sympathischer Verlobter aus Vigo, stellte ihr in einem Anfall von Großzügigkeit sein Auto zur Verfügung. Immerhin glaubte auch er einen Grund zur Dankbarkeit zu haben, weil seine Sibylle jetzt merklich auflebte und wieder fröhlich lachen konnte, bloß gefiel es Sibylle weniger, wie nett ihr Anton nun zu Teri war. Daraufhin klärte Teri in einem Dreier-Gespräch die Fronten und machte Sibylle klar, daß sie nicht die geringste Absicht hatte, ihr ihren Verlobten abspenstig zu machen.
Den Wagen durfte sie weiter benutzen und trieb sich damit in der Umgebung herum. Das sparte Kräfte. So brauchte sie ihre Para-Fähigkeit des zeitlosen Sprungs nicht zu strapazieren, wenn sie von einem Ort zum anderen gelangen wollte, ohne Geld für die Beförderung in öffentlichen Verkehrsmitteln ausgeben zu müssen, denen hier wie überall der Mangel anhaftete, nicht flächendeckend genug zu sein.
Der Stadt Bozen stattete sie auch einen eingehenden Besuch ab und lief dabei zufällig ausgerechnet Rudolfo Munro über den Weg, der doch der eigentliche Auslöser für ihr Hiersein war. Der schon etwas betagte, aber äußerst agile Schriftsteller hatte gerade seinen Wagen abgeholt. »Einmal im Jahr regnet’s hier bei uns, und ausgerechent dann muß das Schiebedach undicht sein… aber jetzt funktionierte wieder für teures Geld, und Sie brauchen sicher einen Fremdenführer, der Ihnen die Umgebung nicht nur zeigt, sondern auch erläutert…«
Sie kamen ins Plaudern, auch über ihren gemeinsamen Bekannten Zamorra, und am späten Nachmittag verabschiedete Teri sich, weil sie in Vigo noch eine Verabredung hatte. Ohne die hätte sie die Gesellschaft des quirligen Siebzigers gerne noch weiter genossen, der so unterhaltsam zu erzählen verstand. Über die Dolomitenstraße passierte sie Welschnofen, quälte ihren geliehenen, rostgesprenkelten Alfasud mit hämmerndem Motor die zwölfprozentige Steigung zum Karer Paß hinauf und sah plötzlich Laurins Rosengarten im Alpenglühen.
Da hatte der Motor Erholungspause. Teri stellte den Wagen am Straßenrand ab und betrachtete das eindrucksvolle Schauspiel. Ein ganzes Bergmassiv schien sich im Licht der Abenddämmerung in einen gigantischen blühenden Garten verwandelt zu haben, flankiert von den drei Vajolet-Türmen, diesen markanten Formationen im Fels. .
Gestern war sie auch hier entlanggefahren, aber zu einer anderen Zeit, und da war der Berghang, der sich fast dreitausend Meter hoch zu seinem Gipfelpunkt emportürmte, nur ein einfaches Massiv gewesen, aber jetzt, im Licht der untergehenden Sonne, die feuerrot im Westen versinken wollte, zeigte sich der Hang als ein Juwel.
Der Sage nach sollte Laurin, der Zwergenkönig, seinen wohlgehüteten Rosengarten einst verbittert durch einen Zauberspruch zu Stein verwandelt haben. Angesichts dieser steinernen Pracht war Teri der Ansicht, daß an der Sache etwas dran sein mußte.
Von einem Moment zum anderen glaubte sie dann, beobachtet zu werden. Sie sah sich um, konnte aber keinen anderen Zuschauer in der Nähe erkennen. Momentan war sie hier oben am Karer Paß, rund zwölfhundert Meter unter dem Gipfel des Rosengarten-Massivs und höchstens sechs Kilometer davon entfernt, allein. Aber
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