0395 - Luzifers Paradies
er nicht so einfach abtun. Aber er hatte doch nichts gehört, und Marie auch nicht!
»Sollte der Spuk des Nachtmahrs schon wieder losgehen?« wunderte er sich. »Ich dachte, Sie hätten ihn für immer vertrieben, Teri. Aber diesmal scheint er nicht nur Sibylle aufs Korn genommen zu haben, sondern auch Sie selbst…«
»Das war nicht der Nachtmahr. Der manipuliert Träume, aber ich habe die Raben im Wachzustand gesehen und gehört, und Sibylle auch… oder?«
Das Mädchen nickte heftig.
Und Teri erinnerte sich bei ihrem eigenen Stichwort an den Traum, in dem sie Laurin gesehen hatte, wie er seinen Rosengarten verfluchte. Hatte der Anblick der steinernen Pracht sie so sehr beeindruckt, daß sie die Szene so plastisch vor sich zu sehen geglaubt hatte? Und wie deutlich sie Laurins Worte vernommen hatte, die er im Althochdeutsch sprach! Sie wußte sogar, daß sie sich jederzeit an seine Stimme erinnern konnte. Sie würde sie unter Tausenden sofort erkennen! Auch sein Aussehen hatte sich ihr exakt eingeprägt…
Das war mehr als ein normaler Traum. Das mußte ein Wahrtraum gewesen sein. Hatte das, was die Sage über den Zwergenkönig berichtete, vielleicht tatsächlich stattgefunden, und hatte sie in der vergangenen Nacht einen Blick in die Vergangenheit getan?
Aber sie war doch keine Hellseherin, und sie hatte auch keine enge Beziehung zur Geschichte dieses Landstrichs! Als Silbermond-Druidin waren ihre Para-Fähigkeiten etwas anders gelagert!
»Laurin, Laurin«, flüsterte sie. »Was machst du mit mir? Laurin, bist du nicht seit Jahrhunderten tot? So lange leben keine aus dem Zwergenvolk…«
Die anderen am Tisch sahen sie erstaunt an, und jetzt erst wurde sie sich bewußt, daß sie ihre Gedanken in Worte gekleidet hatte. Da berichtete sie von dem Anblick, der sie anscheinend so stark beeindruckt hatte, daß sie von Laurin träumen mußte.
Von Laurin, der sich ihr so überdeutlich gezeigt hatte, als stände sie ihm unmittelbar gegenüber?
»Vielleicht doch der Nachtmahr? Vielleicht ist er zurückgekehrt und greift jetzt mit anders gearteten Träumen an«, unkte Lukas Leitner.
Teri widersprach. Sie wußte, daß der Mahr nicht zurückkehren konnte. Er hatte es bei allen Höllenfürsten geschworen. Das band ihn. Außerdem hatte Teri den Bann über ihn gesprochen. Der Nachtmahr kam nie wieder in diese Gegend.
»Von Dietrich von Bern haben Sie nicht geträumt, Teri?« fragte Sibylle, und in ihren Augen sah Teri es feurig aufleuchten. »Er bezwang doch Laurin im Zweikampf, nachdem Wittich und er den Rosengarten beschädigten, und er zwang Laurin, Treue zu schwören… bis nach Bern mußte der Zwergenkönig ihm folgen. Himmel, diesem Dietrich wäre ich gern mal begegnet, und wenn’s nur im Traum wäre. Das muß ein Mann gewesen sein…«
»Beschädigt?« Lukas schmunzelte. »Verwüstet haben diese beiden Helden den Garten. Nur bezahlen wollten sie für ihren Frevel nicht. Kein Wunder, daß Laurin sie in seine Höhle lockte und versuchte, sie umzubringen. Hätte ich an seirjer Stelle auch getan. Dietrich von Bern… und in Ravenna, der Rabenburg, haben sie ihn dann später begraben, den alten Theoderich.«
»Hm«, machte Teri.
Ravenna… Raben… Dietrich von Bern und Laurin… gab es da einen Zusammenhang zu den beiden Vögeln, die Teri gestern gesehen hatte?
Aber dann schüttelte sie den Kopf.
Theoderich, der Gotenkönig, war eine historische Figur, aber als Dietrich von Bern war er eine Sagengestalt, wie auch Laurin und seine Anlagen der Sage entsprangen. Es mochte auch in dieser Sage ein wahrer Kern sein, aber der sah bestimmt ein wenig anders aus.
Aber warum habe ich dann Laurin im Traum so deutlich vor mir gesehen, wie er seinen Rosengarten verflucht? fragte sie sich.
Sie fühlte sich verwirrt.
Aber sie wollte sich dieses Rosengarten-Massiv einmal im hellen Tageslicht näher ansehen.
***
Und dann, in den Mittagsstunden, stand sie mit dem roten, rostzerfressenen Alfasud Anton Grundls wieder am Karer Paß, diesmal in der anderen Fahrtrichtung, war ausgestiegen und versuchte in den Felsen etwas von dem wiederzuerkennen, was sie am gestrigen Abend im Sonnenuntergangslicht gesehen hatte.
Die berauschende Wirkung stellte sich nicht wieder ein.
Aber Teri fragte sich dann, was sie hier und jetzt eigentlich wollte. Gut, sie hatte plastisch von Laurin ge- träumt, aber der war längst tot. Sie konnte ihn nur in der Vergangenheit gesehen haben. Auf die Gegenwart hatte das Geschehen von einst keinen
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