04 - komplett
Blatt komplett gewendet, sodass ich nun meinen Gemahl verführen muss!“, stieß Eleanor niedergeschlagen aus. „Beispielsweise wählte ich gestern Abend eine besonders tief ausgeschnittene Robe für den Maskenball, doch fiel Kit nichts anderes dazu ein, als mir zu raten, einen Schal umzulegen, da die Nächte recht frisch seien!“
„Immerhin könntest du offen mit ihm darüber sprechen“, gab Beth zu bedenken, die an viele Kissen gelehnt in ihrem Bett saß und einen Honigtoast nach dem anderen verzehrte. „Wenn du ihm ehrlich sagst, dass du nun wieder mit ihm schlafen willst, wird er schon nichts dagegen haben!“
Schockiert starrte Eleanor ihre Schwägerin an, wobei ihre glatten weißen Wangen sich vor Verlegenheit röteten. „Ich weiß, man könnte mir unterstellen, kein nennenswertes Schamgefühl zu besitzen; dies aber ginge dann doch zu weit! Um solche Unverfrorenheit zu zeigen, müsste ich zumindest betrunken oder von Laudanum berauscht sein!“
„Woran kein Mangel herrschen dürfte“, bemerkte Beth, die ironisch das Gesicht verzog, „fanden wir doch eine volle Flasche, die deine Mama hinten in einer ihrer Schubladen versteckt hielt und offenbar vergessen hatte!“
„Ich wünsche mir sehr, dass sie sich auf unserem Landsitz wohlfühlen wird“, fügte Eleanor besorgt an. „Es mag ja klug sein, sie aus der Stadt zu entfernen, bis der Klatsch sich gelegt hat, doch wird sie sich auf dem Lande womöglich langweilen und erst recht ein Mittel benötigen ...“
Beth hatte nun alles verspeist und leckte sich die honigverklebten Finger ab. „Ich halte es für grausam und womöglich auch gefährlich, ihr das Mittel abrupt vorzuenthalten“, verkündete sie. „Solch eine Abhängigkeit ist einer Krankheit gleichzusetzen und nicht leicht zu beenden. Lady Salome hofft, dass Dr. Wentworth in Exeter deiner Mutter vielleicht helfen kann ... Aber wechsle nicht das Thema, meine Liebe! Sprachst du doch gerade noch von meinem Cousin und dir ...“
Seufzend versank Eleanor in brütendes Schweigen. Als sie sich in jener Nacht mit Kit ausgesprochen hatte, waren beide – eigentümlicherweise altmodischen Anstandsregeln gehorchend – zunächst in ihre eigenen Zimmer gegangen, wo sie sich für die Nacht umzogen. Nachdem Eleanor dann den Riegel zurückgeschoben und, so verlegen wie einladend, die Zwischentür geöffnet hatte, hatten beide stundenlang im Gespräch vertieft auf ihrem Bett gesessen, wo im heimeligen Dunkel all ihr Ärger, alle Enttäuschungen und alle Ängste aus ihr herausflossen, bis sie völlig erschöpft in den Armen ihres Gemahls einschlief. Diese beglückende Erfahrung miteinander hatte ein tieferes Vertrauen geschaffen, als es körperliche Lust wohl vermocht hätte. Am nächsten Morgen aber hatte Kit seine Gattin mit der Ankündigung überrascht, er halte den Austausch von Intimitäten zunächst für nicht ratsam.
Trotz eines Funkens Erleichterung hatte sie sich enttäuscht gefühlt, jedoch zugestimmt. Unablässig beschäftigte sie seitdem die Frage, ob ihr Gemahl glaubte, dass sie eine Schonfrist benötigte, oder selbst Zeit brauchte, bis er bereit war, ihre Beziehung erneut zu vertiefen. Mitunter befiel sie sogar die Angst, er werde sie nie wieder anrühren ... Was auch immer der Grund war, eine ruhige Woche angenehmster gemeinsamer Unternehmungen lag nun hinter ihnen, die Eleanor vorgekommen war wie die Verlobungszeit, die sie nie gehabt hatten und die sie sehr genossen hatte, aber irgendwie ... nicht ganz zufriedenstellend fand.
„Ich schließe aus deinen Worten, dass Kit deine Ängste und Zweifel restlos beseitigen konnte ... nicht wahr, Nell?“, unterbrach ihre Schwägerin sie in ihren Grübeleien.
„Ja, Beth, ich liebe und vertraue Kit wieder von ganzem Herzen und weiß, dass er mich nie verlassen wird. Es wäre ein Segen, sollten uns Kinder geschenkt werden, und wenn nicht ... wird doch er bei mir sein.“ Hilflos hob Eleanor die Hände. „Um der Wahrheit die Ehre zu geben, frage ich mich aber, wie und wann wir uns ... konkret mit diesem Thema befassen, wenn du verstehst, was ich meine ...“
„Und ob!“, rief ihre Freundin lachend aus. „Sein Zögern scheint dich unruhig zu machen, meine Liebe. Doch sagt man, Vorfreude sei die halbe Freude!“
„Ich gebe zu“, antwortete Eleanor, von Beths Lachen angesteckt, „dass so viel Nervenkitzel mich verstört, weshalb ich deinen Rat noch einmal überdenken werde!“
Sie erhob sich. „Nun aber zu dir! Soll ich das Mädchen
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