04 - Winnetou IV
niemals wieder! Denke, wir sind im Inferno!“
Das Bild, welches sie da brachte, war nicht unzutreffend; ich aber hätte lieber gesagt, im Fegefeuer. Was da unten beschlossen werden sollte, war Sünde, ja; aber es hatte nicht unbedingt zur Verdammung zu führen; wir selbst waren ja da, um ihm ein besseres Ende, einen glücklicheren Ausgang zu geben. Mir kamen die Gestalten da unten vor, nicht als ob sie Abkömmlinge vergangener Jahrtausende, sondern die zu erlösenden Seelen jener uralten Zeiten seien, die sich hier versammelt hatten zur letzten, bösen Tat, in deren Schoß die Befreiung aus der Finsternis zu suchen und zu erfassen war. Indem ich dies dachte, erklang das erste Wort, welches gesprochen wurde:
„Ich bin Avat-towah, der Medizinmann der Komantschen. Ich sage es: es ist Mitternacht!“
Und eine zweite Stimme schloß sich an:
„Ich bin Onto-tapa, der Medizinmann der Kiowa. Ich fordere auf, die Verhandlung zu beginnen!“
„Sie beginne!“ rief Tangua.
„Sie beginne!“ rief To-kei-chun.
„Sie beginne!“ rief Tusahga Saritsch.
„Sie beginne!“ rief Kiktahan Schonka.
Auch jetzt konnten wir die Gesichtszüge der Genannten nicht erkennen. Wir sahen nur ihre Gestalten und hörten ihre Stimmen wie aus einer nicht mehr zur Erde gehörenden Unterwelt herauf. Da trat der Medizinmann der Komantschen an den Altar und sprach:
„Ich stehe vor dem heiligen Bewahrungsort der Medizin. Im Tempel unseres alten, berühmten Bruders Tatellah-Satah hängt die Riesenhaut des längst schon ausgestorbenen Silberlöwen, auf welcher folgendes geschrieben steht: ‚Bewahret Eure Medizinen! Das Bleichgesicht kommt über das große Wasser und über die weite Prärie herüber, um Euch Eure Medizinen zu rauben. Ist er ein guter Mensch, so wird es Euch Segen bringen. Ist er ein böser Mensch, so wird es ein Wehklagen geben in allen Euren Lagern und in allen Euren Zelten.‘“
Hierauf trat auch der Medizinmann der Kiowa an den Altar und sprach:
„Aber neben diesem Fell des Silberlöwen hängt die Haut des großen Kriegsadlers; auf der steht geschrieben: ‚Dann wird ein Held erscheinen, den man ‚Jungen Adler‘ nennt. Der wird dreimal um den Berg der Medizinen fliegen und sich dann zu Euch niederlassen, um Euch alles wiederzubringen, was das Bleichgesicht Euch raubte.‘ Ich frage Euch, die Oberhäuptlinge der vier vereinigten Stämme: Wollt Ihr den Beschlüssen treu bleiben, welche heute unter Euch getroffen worden sind?“
„Wir wollen“, antworteten alle vier.
„Und seid Ihr bereit, Eure Medizinen hier niederzulegen zum Pfand dafür, daß Ihr alles tun werdet, es auch auszuführen?“
Ein lautes, vierfaches „Ja“ erscholl.
„So bringt sie her, und gebt sie ab!“
Sie taten es. Sogar Tangua ließ sich zum Altar tragen, um seine Medizin mit eigener Hand abzugeben. Kiktahan Schonka klagte, indem er dem Medizinmann die seinige überreichte:
„Es ist nur die Hälfte. Die andere Hälfte ging unterwegs verloren, als Manitou seine Augen von mir wendete. Er kehre mir sein Antlitz wieder zu, damit mir nicht auch diese andere Hälfte noch verloren gehe! Die Last meiner Winter drückt mich dem Grabe zu. Soll ich jenseits des Todes ohne Medizin erscheinen, und für ewig verloren sein? Schon um mich vor diesem Untergang zu retten, bin ich gezwungen, alles zu tun, um zu halten, was ich heute versprach!“
Die Platte wurde vom Altar gehoben und dann, als die Medizinen im Innern desselben verschwunden waren, wieder darauf gelegt. Dann häufte man Holz und Reisig darüber und steckte es in Brand, doch nicht nach unserer, sondern nach indianischer Weise, so daß nur ein kleines Feuer entstand, in welches nur die Spitzen der Hölzer ragte, die, wenn sie verzehrt waren, immer nachgeschoben wurden. Das war das ‚Feuer der Beratung‘, die nun begann. Sie war sehr feierlich. Sie wurde durch das sehr umständlich Rauchen der Friedenspfeife eingeleitet. Man hielt trotz der vorangegangen Vorberatungen noch sehr ausführliche Reden. Es wäre wohl interessant, wenn ich diese Reden hier wörtlich wiederholte. Einige von ihnen gestalteten sich zu wahren Meisterstücken der indianischen Redekunst. Aber der Mangel an Raum gebietet mir, nicht so umständlich zu sein, wie diese Indianer es waren. Es genügt, zu sagen, daß wir auf unserem Platz fast kein einziges Wort verloren. Das Resultat der Verhandlungen war für uns folgendes:
Die vier Stämme planten einen Überfall des Lagers der Apatschen und ihrer Freunde am Mount
Weitere Kostenlose Bücher