04 - Winnetou IV
am nächsten Morgen zeitig wiederzukommen. Während meine Frau uns am Lagerfeuer das Abendessen bereitete, gossen wir uns mit Hilfe des vorhandenen Bärenfettes und einer aufgedrehten, ungefärbten Baumwollschnur einige kleine Kerzen, die wir nötig hatten, um bei unserem nicht ungefährlichen Aufstieg in die Höhe des Hauses nicht ganz und gar im Dunkeln zu sein. Denn gefährlich war es immerhin, auf den frei aus der Mauer ragenden Stufensteinen, die keine Spur von Brüstung oder Geländer hatten, ohne hellere Beleuchtung emporzuklimmen. Jedem Ausgleiten mußte unbedingt der Absturz folgen. Darum wollte ich mit dem ‚Jungen Adler‘ allein hinauf. Das Herzle war da eigentlich recht überflüssig, zumal sie von den Verhandlungen, die ganz selbstverständlich indianisch geführt wurden, kein Wort verstehen konnte. Aber gerade, weil sie die Gefahr erkannte, bestand sie darauf, uns begleiten zu dürfen, weil sie mehr Besorgnis für mich als für sich selbst hatte und die Überzeugung hegte, daß ich in ihrer Gegenwart vorsichtiger sein würde als ohne sie.
Als die elfte Stunde nahte, brachen wir auf und hinterließen unserem Pappermann die Weisung, falls wir gegen Morgen noch nicht zurück sein sollte, vorsichtig nachzuschauen, was uns im ‚Haus des Todes‘ festgehalten habe. Wir nahmen unsere Revolver mit, obwohl wir keineswegs glaubten, sie brauchen zu müssen. Im Hause angekommen, zündeten wir die drei Kerzen an. Der Aufstieg war noch schwieriger, als ich vorausgesehen hatte, und zwar der Leiter wegen. Wir brauchten sie, um zur untersten Stufe hinaufzukommen, und da wir sie unmöglich stehenlassen konnten, weil sie uns verraten hätte, mußten wir sie mit hinaufnehmen. Ich stieg voran, dann folgte das Herzle, der ‚Junge Adler‘ hinter ihr her. Indem ich vorn und er hinten die Leiter waagerecht faßte, bildete sie für meine Frau ein wandelndes Sicherheitsgitter, in dem sie sich im Falle der Not zu halten vermochte. Wir gelangten langsam, sehr langsam, aber doch glücklich hinauf. Da schoben wir die Leiter in die tiefe Fensteröffnung, so daß sie in ihr vollständig verschwand, löschten unsere kleinen, fast unzureichenden Lichter aus und stiegen durch die Öffnung, welche auf den künstlichen Felsensturz mündete, hinaus ins Freie.
Es gab über uns einen hellen Sternenhimmel. Das von ihm niederfallende Licht reichte hin, uns den See als eine mattsilberne Fläche zu zeigen, die im Schattenrahmen der Ufersträucher lag. Wir brauchten nicht lange zu warten, so bewegte es sich da vorn. Es kamen Gestalten, langsam und einzeln, eine hinter der anderen. Je näher sie kamen, um so deutlicher konnten wir sie erkennen. Freilich, ihre Gesichtszüge nicht. Auch die Gestalten waren nicht scharf konturiert. Aber daß es Indianer waren, darüber gab es keinen Zweifel. Auch die Bahre sahen wir, auf welcher der Häuptling der Kiowas getragen wurde. Sie bestand aus einer Decke, welche zwischen zwei Stangenhölzern befestigt war. Andere trugen große Holz- und Reisigbündel. Wir zählten vierunddreißig Personen. Wir warteten, bis die letzte von ihnen im Innern des Hauses verschwunden war, und schlüpften dann auch hinein. Wir hatten da eine undurchdringliche Dunkelheit vor uns und setzten uns nieder.
Geheimnisvolles Geräusch ließ sich in der Tiefe unter uns hören, weiter nichts. Niemand sprach, kein Ruf, kein Befehl, kein Kommando erscholl. Es schien alles sehr genau vorher besprochen worden zu sein. Da sprang irgendwo ein Funke auf, noch einer und noch einer. Diese Funken verwandelten sich in kleine Flämmchen. Die Flämmchen wurden zu Flammen, die Flammen zu brennenden Feuern. Es gab vier Feuer, welche die Ecken eines Quadrates bildeten, in dessen Mitte der Altar stand. Um diese Feuer lagerten sich phantastische Indianergruppen, die Häuptlinge jedes Stammes um ihre besondere Flamme. Der Rauch stieg empor, aber er belästigte uns nicht; er verschwand durch die Öffnungen der gegenüberliegenden Seite. Auch der Schein der Feuer stieg empor; aber je höher, um so ungenügender und geheimnisvoller wirkte er. Beim Flackern der Flammen schien sich nicht nur unten, sondern auch hier oben alles zu bewegen, die Nischen, die Mumien, die Gerippe, die verworrenen Teile der Knochen. Das Herzle griff nach meiner Hand, drückte sie krampfhaft fest und flüsterte mir zu:
„Wie geisterhaft, ja, gespensterhaft! Fast fürchte ich mich!“
„Wünschest du dich weg von hier?“ fragte ich.
„Nein, nein! So etwas gibt es ja niemals,
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