1397 - Der Vampir und die Wölfe
Es war die Zeit des Grauens, des Schmerzes, der Hilflosigkeit und der furchtbaren Demütigung.
Trotzdem gab es ihn noch. Ihn – Will Mallmann, alias Dracula II, den Supervampir. Herrscher über die bleichen, blutgierigen Untoten. So war es geplant. So hatte er es sich vorgestellt.
Gekommen war alles anders. Der Sieg hatte sich in eine Niederlage verwandelt, wie sie schrecklicher nicht sein konnte. Es gab ihn noch, aber es gab ihn nicht mehr als den Herrscher über die Vampire. Er lebte auch nicht, er existierte, und dass es so war, glich einem Wunder. Immer wieder entstand das Bild vor seinen Augen.
Er hatte kurz vor einem seiner größten Siege gestanden. Er hatte einen seiner schlimmsten Feinde aufgespürt – Marek, den Pfähler.
Er war sich seines Sieges so sicher gewesen, vielleicht zu sicher, denn er hatte nicht mit der Raffinesse des alten Vampirjägers gerechnet.
Nicht er war in Mallmanns Falle gelaufen, es war umgekehrt gekommen.
Marek hatte sich in einem Baum versteckt gehalten. Und er hatte seinen verfluchten Pfahl dabei gehabt. Überdeutlich kehrte die Szene vor Mallmanns innerem Auge wieder zurück. Er hatte seinen Feind nicht gesehen, und der hatte sich einfach nur fallen lassen müssen.
Zusammen mit seinem vorn angespitzten Pfahl, dessen Spitze sich in Mallmanns Rücken gebohrt hatte und tief in den Körper des Blutsaugers gedrungen war. [1]
Das klassische Ende für jeden Vampir!
Nicht so bei ihm. Marek war auch nicht mehr dazu gekommen, ihn zu köpfen, um hundertprozentig sicher zu gehen.
Was genau passierte war, dass wusste Mallmann nicht. Er hatte nur später festgestellt, dass er noch »lebte«.
Aber warum?
Die Frage war erst später in ihm hochgekocht, als bereits Stunden vergangen waren. Da war ihm bewusst geworden, dass er noch existierte. Zwar nicht mehr wie früher, aber er war nicht vernichtet, wie es hätte sein sollen.
Ich bin noch da!
Erst allmählich drang dies in sein Bewusstsein. Und er konnte sich Zeit lassen, um darüber nachzudenken, denn es gab keinen einzigen Feind mehr in seiner Umgebung. Er war allein. Mallmann wusste auch nicht, wie viel Zeit vergangen war. Ob Tag oder Nacht, bei ihm spielte es keine Rolle, denn er gehörte zu den Blutsaugern, die auch am Tag existieren konnten. Diese Macht besaß er schon.
Er existierte. Er hatte überlebt. Will Mallmann brachte beides in einen Zusammenhang. Für ihn musste es einen Grund geben, dass das eine als auch das andere passiert war.
Warum?
Gab es einen Beschützer? Einen gewaltigen Geist oder eine unermessliche Kraft, die dafür gesorgt hatte?
An beides konnte und wollte er nicht glauben, und er dachte an eine andere Lösung. Er konnte sich Zeit lassen, denn wo er sich befand, gab es nur die Einsamkeit der endlosen Karpatenwälder.
Er überlegte. Er schob die nahe Vergangenheit weg und hatte plötzlich die Lösung gefunden. Er trug sie sogar bei sich. Sie war stets in seiner Kleidung verborgen, und sie war nicht groß. Sie passte in die Hand, und sie bestand aus einem harten und roten Material.
Es war der Blutstein!
Dracula II hätte vor Freude schreien können, als er endlich die Lösung erkannte. Zum ersten Mal hatte er wieder lachen können, auch wenn es ihm schwer gefallen war.
Der Blutstein – das Erbe des echten Dracula. Dieser Stein, der ihn zwar nicht unbesiegbar machte, ihn aber vor vielen Angriffen und Gefahren schützte.
Seine Strahlkraft hatte ausgereicht, um ihn den Stoß mit dem Pfahl überleben zu lassen.
Ein Wunder! Zugleich auch ein Wunder, das sich fortsetzen würde, daran glaubte er fest. Es gab ihn noch. Es würde ihn weiterhin geben, und er würde weitermachen.
Nur nicht sofort. Er musste Zeit vergehen lassen. Einiges an Zeit.
Er wollte seine Feinde in Sicherheit wiegen. Sie sollten ruhig denken, dass es ihn nicht mehr gab, umso stärker würde er sich wieder zurückmelden, das stand fest.
Feinde hatte er genug!
Nicht nur den Pfähler Marek und das Team um John Sinclair. Es gab noch andere, die nicht zu den normalen Menschen gehörten. Da standen die Hexen an erster Stelle, und unter ihnen besonders ihre Anführerin Assunga. Als der Schwarze Tod noch existierte, waren sie einmal Partner gewesen. Das hatte sich nun geändert, denn Assunga wollte so etwas wie seine Nachfolge antreten, indem sie die Vampirwelt annektierte, die er mal beherrscht hatte. Danach war diese Welt vom Schwarzen Tod übernommen worden, der dort ein zweites Atlantis hatte schaffen wollen, was ihm nicht gelungen
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