04 - Winnetou IV
uns weder in Chicago noch in Leavenworth sehen zu lassen. Das war nicht schwer, zumal wir gar nicht über Leavenworth , sondern über das ihm allerdings ziemlich naheliegende Kansas City kamen. Von da aus gab es allerdings noch eine gewaltige Strecke bis Trinidad, aber bei der Einrichtung der amerikanischen Eisenbahnwagen, die alles bieten, was an Bequemlichkeit überhaupt erreichbar ist, war dies gewiß nicht allzu schwer zu überwinden.
„Wir machen es!“ sagte das Herzle. „Wir fahren ununterbrochen! Ich selbst werde die Tickets besorgen!“
Wenn sie in diesem bestimmten Ton spricht, dann weiß sie, was sie will, und so saßen wir denn schon am nächsten Morgen im telegraphisch vorausbestellten Abteil des Pullmancar und dampften dem ‚fernen Westen‘ und den uns dort erwartenden, hoffentlich nicht gefährlichen Ereignissen entgegen. Anstatt die ebenso lange wie interessante Fahrt zu beschreiben, will ich nur sagen, daß wir in der besten Verfassung in Trinidad ankamen und uns mit unseren zwei Koffern nach dem Hotel des ‚blauen Maksch‘ bringen ließen.
Ich hatte das Herzle darauf aufmerksam gemacht, daß wir von dem Augenblick an, in welchem wir in Trinidad den Eisenbahnwagen verlassen würden, für längere Zeit auf einen nicht unbeträchtlichen Teil der ‚Zivilisation‘ verzichten müßten. Es stellte sich heraus, daß ich da sehr, sehr recht gehabt hatte. Trinidad sah zwar keineswegs mehr so aus wie damals, als ich es zum ersten Male so grad zwischen Prärie und Gebirge liegen sah, aber zu wünschen gab es doch gar vieles noch. Als ich mich auf dem Bahnhof nach Mr. Pappermann und seinem Hotel erkundigte, antwortete der betreffende Beamte kurz:
„Gibt es nicht mehr!“
„Was?“ fragte ich. „Ist es mit dem Hotel aus?“
„Nein. Es existiert noch.“
„Aber Mr. Pappermann ist tot?“
„Nein. Er lebt noch.“
„Aber Ihr sagtet doch soeben, daß es beide nicht mehr gebe!“
„Beide zusammen, ja! Aber beide einzeln sind noch da! Sie sind nur auseinander!“
Der Mann freute sich unendlich über seinen billigen Witz, belachte ihn eine ganze Weile und fuhr dann fort:
„Mr. Pappermann hat verkauft, hat verkaufen müssen! Sein unglückseliger Name ist schuld!“
Damit ging der Mann, noch immer lachend, von dannen. Das Hotel verdiente nicht, so genannt zu werden. Ein deutscher Dorfgasthof pflegt einladender und besser auszusehen; aber wir waren nun einmal hierhergewiesen, und außerdem wäre ich, schon um meines alten Kameraden willen, in kein anderes Haus gegangen. Wir bekamen zwei nebeneinander liegende Stuben, die zwar klein und fast ärmlich ausgestattet, aber sauber waren. Diese sogenannten ‚Zimmer‘ hatten, wie man ganz besonders hervorhob, den großen Vorzug, daß ihre beiden Fenster hinaus nach dem ‚Garten‘ gingen. Als wir nach diesem Garten schauten, sahen wir ein von vier halb verfallenen Mauern eingefaßtes Quadrat, auf dem sich folgende Gegenstände befanden: zwei alte Tische mit je drei noch älteren Stühlen; ein fast ganz blätterloser Baum, der sich die allergrößte Mühe gab, entweder eine Linde oder eine Pappel zu sein; vier Sträucher, die mir völlig unbekannt waren, zumal sie ihre eigenen Namen wahrscheinlich selbst nicht wußten; zuletzt und endlich einige Dutzend Grashalme, denen man wohl schon seit Jahren vergeblich zugemutet hatte, irgendeine Art von Rasen zu werden. An dem einen Tisch saß ein Mann, und an dem anderen Tisch saß auch ein Mann, beide so, daß wir ihre Gesichter von der Seite sahen. Der eine hatte ein Bierglas in der Hand; aber er trank nicht, denn es war leer. Der andere hatte eine Zigarre in der Hand; aber er rauchte nicht, denn sie war ausgegangen. Beide sahen einander nicht an, sondern sie kehrten einander die Rücken zu. Beide waren Wirte. Der mit dem leeren Glas war, wie wir später erfuhren, der neue Wirt. Und der mit der ausgelöschten Zigarre war, wie wir sogleich dachten, der alte Wirt. Beide sahen nicht sehr glücklich aus, sondern sie machten den Eindruck, als ob beide bereuten, der eine, das Hotel ver -, der andere, das Hotel gekauft zu haben und nun sehr eifrig darüber nachdachten, in welcher Weise aus diesem Handel noch etwas herauszuschlagen sei.
„Du“, sagte das Herzle, „der, welcher rechts sitzt, scheint dein Freund Pappermann zu sein. Soeben drehte er sich einmal halb um, und da sah ich die linke Seite seines Gesichtes; sie ist blau.“
„Ja, er ist es“, antwortete ich. „Alt geworden, alt und grau! Sieht aber
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