04 - Winnetou IV
aus deinem Notizbuch und schreibe darauf, was ich dir jetzt diktiere!“
„Gut! Das Blatt ist da, der Bleistift auch. Nun sprich!“
Sie diktierte folgendes:
„Mein teures Herzle! Ich liebe Dich und bleibe Dir treu bis in den Tod. Zu Deinem nächsten Geburtstag bekommst Du fünfzig Mark für das Radebeuler Krankenhaus. Ich halte Wort und unterschreibe es mit meinem eigenen Namen!“
„Nun unterschreib aber auch!“ fügte sie hinzu.
„Ist hiermit geschehen!“ meldete ich.
„So komm!“
Ich legte den Zettel in das Häuschen, stieg von meiner Insel hinunter und ging nach der ihrigen. Unterwegs trafen wir einander. Sie wollte mir wegen der fünfzig Mark einen triumphierenden Blick zuwerfen, brachte es aber nicht fertig. Sie reichte mir vielmehr die Hand, um sich zu bedanken, und ging dann mit dem ‚Jungen Adler‘ weiter. Ich beeilte mich, schnell nach der anderen Insel zu kommen. Als dies geschehen war und ich dann oben stand, verhielt ich mich sehr still und lauschte. Da hörte ich sie kommen. Sie sprachen miteinander. Klärchen ging sofort nach dem Häuschen. Ich hörte sie sagen:
„Da liegt das Blatt! Wirklich, wirklich!“ Sie las es und fuhr dann fort: „Genauso, wie ich es diktierte! Es kann also kein Zweifel mehr sein –“
„O doch!“ unterbrach ich sie schnell.
„Ach, du bist auch schon dort?“ fragte sie.
„Ja.“
„Und zweifelst?“
„Ganz bedeutend. Ich muß auch eine Probe machen, um mich zu überzeugen!“
„Welche Probe?“
„Du hast doch wohl auch deinen Bleistift bei dir?“
„Ja.“
„So nimm mein Blatt, und schreibe auf die andere Seite, was ich dir jetzt diktiere!“
„Schön! Ich habe das Blatt und den Stift. Es kann beginnen!“
Ich diktierte:
„Die gehorsamst Unterzeichnete gesteht hiermit vor der Staatsanwaltschaft des Königlichen Sächsischen Landgerichts zu Dresden reumütig ein, daß sie sich auf der Devils pulpit des amerikanischen Staates Colorado einer raffinierten Erpressung von 50 Mark, sage und schreibe fünfzig Mark, schuldig gemacht hat und hierfür –“
„Halt, halt! Nicht weiter!“ fiel ihre Stimme in das Wort. „Ich habe meine Sünden nur dir einzugestehen, nicht aber der Staatsanwaltschaft, die ich für alles, was auf der Teufelskanzel geschieht, für völlig inkompetent erkläre. Deine fünfzig Mark gehören von jetzt an meinen Kranken; dabei hat es zu bleiben! Wenn es noch weiterer Proben bedarf, so mache andere, aber nicht solche!“
„Ich verzichte!“
„So komm, und bitte mir es ab! Was mich betrifft, so bedarf deine Entdeckung für mich keiner weiteren Beweise.“
„So gehen wir jetzt, um nach unserem Lager zurückzukehren. Ich komme nicht erst zu Euch, sondern wir treffen uns am Wasser, draußen vor dem Kessel.“
Als ich dort ankam, waren sie noch nicht da. Es dauerte noch einige Zeit, ehe sie sich einstellten.
„Wir mußten dich warten lassen“, entschuldigte sich meine Frau. „Es galt doch, es dir so bequem wie möglich zu machen.“
„Was?“
„Deinen Lauscherposten, das Häuschen, in dem du dich doch wohl stundenlang oder wohl gar noch länger aufzuhalten haben wirst. Es mußte gereinigt werden. Dann haben wir trockenes Laub hineingeschafft, so viel, daß du es dir so behaglich machen kannst, wie die Verhältnisse es gestatten. Steigen wir jetzt nach oben?“
„Ja. Aber nur wir zwei. Der ‚Junge Adler‘ kann hier bleiben und auf Pappermann warten, der den Bär zu holen hat. Das Tier ist zu schwer für einen; es gehören zwei dazu.“
Der Apatsche war einverstanden. Er legte sich in das Moos, um auf den alten Westmann zu warten; wir beiden andern aber machten uns auf den Weg nach dem Lagerplatz hinauf.
Dort angekommen, erfuhren wir, daß Pappermann uns vom Anfang bis zum Ende beobachtet hatte. Auch den Schuß hatte er gehört und sich gleich gedacht, daß er irgendeinem Wild gegolten habe. Aber was für ein Wild das sei, das wußte er nicht. Nun freute er sich darüber, daß es ein Bär gewesen war, und machte sich schleunigst mit zwei Maultieren auf, um ihn zu holen.
Da es der Sioux und der Utahs wegen galt, wachsam zu sein und der bisherige Wächter sich entfernt hatte, so überzeugte ich mich zunächst, daß es den Pferden an nichts mangelte, und dann kletterten wir nach unserem hochgelegenen Lauscherposten hinauf. Von da oben aus hatten wir die Ellipse der Devils pulpit so deutlich und so instruktiv unter uns liegen, daß es mir nicht schwer wurde, meiner Frau geometrisch nachzuweisen und zu
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