04 - Winnetou IV
zu beraten und das Ergebnis dann durch den Sprecher dem unten versammelten Publikum zu verkünden hatten.
Wir stiegen hinauf. Es war nicht das geringste zu sehen, was uns als beachtenswert erschienen wäre. Natürlich visierte ich von hier aus, doch ohne etwas davon zu sagen, die im östlichen Teil liegende andere Insel. Sie war genau ebenso hoch wie diese hier, doch umfangreicher und außerdem dicht bewachsen. Auch bis zu ihrer Oberfläche reichte keiner der Bäume herauf, und wenn es sich wirklich, wie ich mehr und mehr vermutete, um ein akustisches Geheimnis handelte, so gab es auf unserer jetzigen Höhe rundum keinen Gegenstand, durch den die Schallwellen hätten aufgefangen oder unterbrochen werden können. Hierauf stiegen wir wieder hinab. Wir waren mit diesem Teil des Kessels fertig und schauten einmal zur Höhe empor, ob es wohl möglich sei, unseren Pappermann zu sehen. Jedenfalls beobachtete er uns; aber da er wahrscheinlich so klug war, sich ganz vorn an die Brüstung zu wagen, konnten wir ihn nicht entdecken.
Nun begaben wir uns nach dem anderen, dem dichter bewachsenen Teil der Ellipse. Ich steuerte da direkt auf die zweite Insel zu, hemmte aber gar bald meinen eiligen Schritt, denn ich stieß auf Spuren, doch glücklicherweise auf solche, die man gern, sehr gern zu sehen pflegt. Auch dem ‚Jungen Adler‘ fielen sie auf der Stelle auf. Es sah fast so aus, als ob Kinder wiederholt durch die Him- und Brombeersträucher gebrochen seien. Wir waren zunächst still, aber als wir uns einmal rund um die Insel geschlichen hatten und nun wußten, woran wir waren, fragte ich:
„Herzle, hast du Appetit auf Bärenschinken oder Bärentatzen?“
„Mein Schreck!“ antwortete sie schnell und sogleich erregt. „Gibt es etwa Bären hier?“
„Ja.“
„Wohl gar Grizzlys?“
„Nein. So schlimm ist es nicht. Es ist ein ganz niederträchtig, unschädlicher, schwarzer Bär, der auf dem linken Hinterbein hinkt. Er scheint einmal verwundet worden zu sein und hat sich also die Gefährlichkeit abgewöhnen müssen. Ich vermute in ihm einen leidenschaftlichen Vegetarier, der sich nicht die geringste Mühe geben wird, dir als Menschenfresser zu erscheinen. Er steckt hier droben auf der Insel.“
„Da oben?“ Sie schaute empor und fügte sofort hinzu: „Du hast Recht: Ich sehe ihn! Da guckt er herunter! Da, da!“
Sie zeigte mit der Hand hinauf. Da hob der ‚Junge Adler‘ auch schon sein Gewehr.
„Schießt nicht; schießt nicht!“ bat sie. „Er macht ein gar zu liebes, albernes Gesicht!“
Aber ihr Wunsch kam zu spät. Der Schuß krachte. Die Kugel war in das Auge gezielt und drang direkt in das Gehirn. Der Bär hatte hart am Rand der Insel gelegen und, als er uns sah, eine Bewegung gemacht sich aufzurichten. Nun sank er wieder nieder, wälzte sich unter der Wirkung des Schusses einmal nach vorn und kam dann heruntergerutscht, um tot vor unseren Füßen liegenzubleiben.
„Wie schade!“ meinte das Herzle. „Wir konnten ihn leben lassen!“
„Zu seiner eigenen Qual?“ fragte ich, indem ich ihn untersuchte. „Schau her! Er war nicht verwundet, sondern er hatte das Hinterbein gebrochen, und da ihn keine Universitätsklinik aufnehmen wollte, so schleppte er es hinterher, bis ihn unsere Kugel erlöste.“
„Aber gebrochene Beine esse ich nicht!“ erklärte sie energisch.
„Ich auch nicht!“ stimmte ich ihr bei. „Sie müssen unbedingt erst eingerichtet und dann verbunden werden, natürlich in Gips. Hierauf spickt und bratet man sie, und dann werden sie gegessen!“
„Du bist ein lasterhafter Mensch!“ bestrafte sie mich, halb lachend und halb ernst. „Was wird nun mit dem Bär? Ich trage ihn nicht hinauf, wo wir wohnen.“
„So wird er von unserem Maksch geholt! Er ist über vier Jahre alt und wiegt wohl einige Zentner, aber wir haben ja Maultiere, ihn zu tragen. Wir müssen alles fortschaffen, dürfen nichts von ihm hier lassen, der Indianer wegen, die wir erwarten. Jetzt ziehen wir ihm den Rock aus.“
Das ging sehr schnell. Der ‚Junge Adler‘ half und zeigte sich als geschickt und sauber. Als wir das Wild dann wieder in sein eigenes Fell gewickelt hatten, setzten wir unsere unterbrochenen Nachforschungen fort. Auch hier führten Stufen hinauf, die aber von Ranken fast unwegsam gemacht worden waren. Zu beiden Seiten dieser Stufen gab es je eine große Steintafel mit ziemlich wohlerhaltenen Meißelarbeiten. Diese Tafeln waren jedenfalls erst dann angebracht worden, als das Bassin kein
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