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04 - Winnetou IV

04 - Winnetou IV

Titel: 04 - Winnetou IV Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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verstand ihn und erwiderte:
    „Warum nicht? Es gibt kein Hindernis.“
    „So sei es!“
    Er schloß die Augen wieder und dachte nach. Dann begann er:
    „Ich wollte, ich dürfte in der Sprache der Apatschen zu euch reden; denn diese Sprache bildet das Gewand, in welchem das, wovon ich spreche, mir in das Herz gestiegen ist. Die Sprache der Bleichgesichter wirft häßliche Falten um diese Gestalten meines Innern.“
    Er hatte die Augen noch geschlossen gehalten. Jetzt schlug er sie auf und fuhr fort:
    „Es gibt in weiter, weiter Ferne von hier ein Land mit dem Namen Dschinnistan. Nur uns, den roten Männern, ist es bekannt, den weißen aber nicht.“
    Man kann sich meine Überraschung denken, als ich diesen Namen und diese Worte aus diesem Mund hörte. Dem Herzle ging es ebenso. Sie griff rasch nach meiner Hand, als ob sie eine Stütze brauche, um nicht schnell mit der Mitteilung herauszuplatzen, daß er sich über unsere Unwissenheit in hohem Grad irre.
    „Dschinnistan?“ fragte ich. „Ist dieses Wort aus der Sprache der Apatschen?“
    „Nein, sondern aus einer hier vollständig unbekannten Sprache. Es sind viele, viele tausend Jahre her, da war Amerika noch mit Asien verbunden. Es gab im hohen Norden eine Brücke von dort nach hier herüber. Diese Brücke ist jetzt in einzelne Inseln zerrissen und zerfallen. Zu dieser Zeit, also vor Tausenden von Jahren, kamen große, herrliche Menschen, die körperlich und geistig wie Riesen gestaltet waren, über diese Brücke zu unseren Ahnen herüber und brachten Grüße von ihrer Herrscherin, der Königin Marimeh.“
    Wieder drückte das Herzle mir heimlich die Hand. Sie fühlte ebenso wie ich, daß unsere Marah Durimeh gemeint sei. Der ‚Junge Adler‘ fuhr fort:
    „Ihre Boten hatten köstliche Geschenke zu überreichen. Es war ihnen verboten, Gegengeschenke zu nehmen, denn eine Gabe, die erwidert werden muß, ist kein Geschenk, sondern eine Erpressung. Die Gesandten Marimehs erzählten von dem hochgelegenen Reich Dschinnistan. In diesem gibt es nur ein einziges Gesetz, welches das ‚Gesetz der Schutzengel‘ heißt. Darum wird Dschinnistan auch das ‚Land der Schutzengel‘ genannt. Nämlich ein jeder Untertan dort hat im stillen der unbekannte Schutzengel eines anderen Untertanen zu sein. Wer sich entschließt, der Schutzengel seines eigenen Feindes zu sein, der gilt als Held, denn er hat sich selbst überwunden. Das gefiel unseren Urvätern, denn sie waren ebenso edel wie die Bewohner des Erdteiles Asien. Sie baten die Gesandten der Königin Marimeh, ihnen zur Einführung dieses Gesetzes hier in Amerika behilflich zu sein. Diese waren gern bereit. Sie taten, um was man sie gebeten hatte, und zogen dann wieder heim.“
    „Kamen sie wieder?“ fragte das Herzle.
    „Dieselben nicht, aber andere. Nach jedem Menschenalter kam eine Gesandtschaft, um Geschenke zu bringen und nachzusehen, ob das Gesetz auf dieser Seite der Erde noch gelte. So vergingen mehrere Jahrtausende. Der Himmel wohnte auf Erden. Das Paradies stand weit geöffnet. Es gab keinen Unterschied mehr zwischen Engel und Mensch, weil jeder Mensch ein Engel war, nämlich der Schutzengel eines anderen. Da plötzlich blieb die Gesandtschaft aus, die nächste, die übernächste auch. Man erkundigte sich, man schaute nach. Die Brücke von Asien nach Amerika war eingestürzt. Nur noch die Pfeiler standen, die von einer wilden See umtobten Inseln.“
    „Wenn ich mich nicht irre, stehen sie heute noch“, fiel Pappermann ein. „Ich glaube, man nennt sie die Aleuten.“
    „Das stimmt“, nickte das Herzle. „Ihr seid ein guter Geograph, Mr. Pappermann!“
    „Oh, das will gar nichts sagen“, lachte er. „Als ich in die Schule ging, drüben in Deutschland, da kannten wir die Aleuten und die Beringstraße besser als unsere eigenen Städte und unsere eigenen Gassen!“
    „Es vergingen viele, viele Menschenalter, ohne daß sich eine Gesandtschaft sehen ließ“, fuhr der ‚Junge Adler‘ fort. „Die Verbindung blieb unterbrochen.“
    „Konnte man nicht versuchen, sie wieder anzuknüpfen?“ fragte meine Frau.
    Der Gefragte lächelte trübsinnig.
    „Von unserer Seite geschah nichts hierzu“, antwortete er. „Wir waren ja Rote! Wir waren Indianer! Wir wollten glücklich und selig sein, doch ohne Mühe und Anstrengung. Das hielten wir für unser gutes Recht. Ein erkämpftes Glück war uns zu teuer. Wir glaubten, es billiger haben zu können. Wir ahnten nicht, daß der große, allweise Manitou uns prüfte,

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