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04 - Winnetou IV

04 - Winnetou IV

Titel: 04 - Winnetou IV Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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daß das Ausbleiben der Gesandtschaft von ihm verordnet war, um uns aufzurütteln und zur eigenen Tätigkeit zu spornen. Unsere Ahnen aber regten sich nicht; sie blieben sitzen. Sie hatten keinen Dank für das Gesetz von Dschinnistan. Sie hatten keine entgegenkommende Tat für Manitou, für die Königin Marimeh, für die Erhaltung ihres Paradieses, ihrer Seligkeit, ihres Glückes. Das ist die große, die unverzeihliche Sünde unserer Ahnen, deren Folgen wir zu tragen haben bis auf den heutigen Tag!“
    Da stöhnte Sebulon leise:
    „Die Ahnen – die Ahnen – die Väter!“
    „Schweig, und störe nicht!“ bat sein Bruder.
    Der Junge Apatsche fuhr fort:
    „Dem Gesetz von Dschinnistan fehlte die bisher von Generation zu Generation bewirkte Erneuerung der Heimatkraft. Es wurde schwach; seine Wirkung ging verloren. Die Engel wurden wieder zu Menschen. Der Himmel verließ die Erde. Das Paradies verschwand. Die Liebe starb. Der Haß, der Neid, die Selbstsucht, der Hochmut begannen wieder zu regieren. Das eine, große Reich mit dem einen, großen Gesetz fing an, zu wanken. Der einen großen Rasse, die sich an dem einen, großen Gesetz aufgerichtet und emporgebildet hatte, ging diese Stütze, dieser Pfeiler verloren. Sie fiel in sich zusammen, zwar langsam, langsam, Jahrhunderte hindurch, aber sicher. Die Herrscher wurden zu Despoten, die Patriarchen zu Tyrannen. Hatte es erst nur ein Gesetz der Liebe gegeben, so regierte nun nur noch ein Gesetz des Zwanges. Was vorher segnete, das fluchte; was vorher zusammenstrebte, das bestand jetzt darauf, sich zu meiden. Die einzig mögliche Rettung schien in der Hand der Macht, der schonungslosen Strenge zu liegen. Und sie kamen, die Bedrücker, die Zuchtmeister, die Gewaltherrscher. Sie regierten mit eisernen Fäusten, aber nur einige wenige Jahrhunderte lang. Jeder Druck, auch der Tyrannendruck, erzeugt Gegendruck, erzeugt Wärme, erzeugt innere Hitze, die nach außen und sich zu befreien strebt. Dieser Druck des nur durch Gewalt zusammengehaltenen Wassers wuchs, bis die Ufer nicht mehr widerstehen konnten. Das Gewicht der verflossenen Jahrtausende begann, zu wirken. Ich bediene mich eines geographischen Bildes zur Verdeutlichung dieser geschichtlichen Tatsache: Der obere See drängte auf den Michigansee, dieser auf den Huronensee und dieser auf den Eriesee. Von dieser ungeheueren Schwere mußten selbst Felsenufer brechen. Und sie brachen! Der Niagara bildete sich. Erst der Fluß, dann der Fall, der fürchterliche, der entsetzliche, der unaufhaltsame Fall, durch den die rote Rasse in Atome zerstäubte und noch weiter zerstäubt, wenn nicht aus der Tiefe dieses Sturzes sich ein großer, rettender Gedanke erhebt, in dem die Macht verborgen liegt, die Stäubchen, Tropfen, Wellen und Wasser zu sammeln und im zukünftigen Ontario zur Einheit zurückzubilden. Dieses Bild wird euch fremd und also nicht geläufig sein – – –“
    „Es ist uns geläufig“, fiel das Herzle schnell ein. „Es hat sich auch in uns selbst, ohne Zutun anderer, gebildet. Wir haben oft, sehr oft darüber gesprochen, daheim und auch hier im Land. Das letzte Mal am Niagara selbst, mit Athabaska und Algongka, den Häuptlingen der – – –“
    „Mit Athabaska?“ fuhr der ‚Junge Adler‘ in froher Überraschung auf.
    „Ja.“
    „Und mit Algongka?“
    „Auch mit ihm.“
    „Zu gleicher Zeit?“
    „Zu gleicher Zeit. Sie waren beisammen.“
    Diese Nachricht ließ ihn von seinem Sitz aufspringen. Seine Freude war so groß, daß er gar nicht daran dachte, daß ein Indianer sich weder vom Schmerz noch von der Freude überwältigen lassen darf.
    „Sie waren beisammen, beisammen!“ rief er aus. „Der eine hat die mühselige, weite Reise zu dem anderen gemacht! Dann sind beide nach dem Niagara gekommen, dem großen, erschütternden Bild unserer Vergangenheit und Gegenwart. Und dann – dann –. Wißt Ihr, wohin sie von dort aus wollten?“
    „Nach dem ‚Mount Winnetou‘.“
    „Ist das wahr? Wißt Ihr das gewiß und wirklich, Mrs. Burton?“
    „Gewiß und wirklich!“ versicherte das Herzle, und ich bestätigte es.
    Da legte er die Hände zusammen, hob den Blick empor, als ob er beten wolle, und sagte im Ton einer tief, tief innerlichen Freude:
    „Nachdem Mount Winnetou! Gerettet – gerettet – – gerettet!“
    „Was ist gerettet, was?“ fragte meine wißbegierige Gattin, die Klara, nicht das Klärchen.
    Er zögerte mit der Antwort, gab sie aber doch, indem er sich langsam wieder

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