04 - Winnetou IV
niedersetzte:
„Der große Gedanke, der aus der Tiefe des Niagara sich erheben soll, ist gerettet.“
„So ist er also schon da? Ist schon gefunden?“
„Er braucht nicht gefunden zu werden. Er ist schon längst, schon seit Jahrtausenden da. Er wurde mit in das Verderben, in den Sturz, in den Strudel des Niagara gerissen. Aber er wurde nicht zerschmettert und nicht zermahlen und nicht zermalmt wie wir, sondern grad als ihn die Wasser für immer verschlungen zu haben schienen, tauchte er rein, klar und wie ein Wunder glänzend aus ihren Wirbeln auf, um von den Nachkommen derer erfaßt und festgehalten zu werden, die es einst der Mühe nicht für wert erachteten, ihn, den Gast aus Dschinnistan, in bleibenden Schutz zu nehmen.“
Er hatte in schöner, lieber Begeisterung gesprochen. Man sah und hörte ihm an, daß er mit seinem ganzen Denken und Fühlen bei dieser Sache war. Auch die neugierige Klara wurde wieder zum Klärchen, ja, zum Herzle, indem sie, ebenso enthusiasmiert wie er, ausrief:
„Ich weiß, was Ihr meint! Ich kenne ihn, diesen großen rettenden Gedanken!“
„Das ist fast unmöglich“, warf er ein.
„O nein, o nein! Wir kennen diesen Gedanken wahrscheinlich schon eher, viel eher als Ihr! Ihr meint doch das Gesetz von Dschinnistan, nichts anderes: Ein jeder Mensch soll der Engel eines anderen Menschen sein! Habe ich recht?“
Ein tiefes, aber frohes Staunen ging über sein Gesicht. Er rief aus:
„Wirklich, wirklich, Ihr habt mich begriffen! Wie ist das möglich, Mrs. Burton?“
„Weil wir dieses Gesetz, wie ich Euch schon sagte, ebenso kennen wie Ihr“, antwortete sie. „Und weil – paßt auf, was ich Euch sage – – –, weil wir Dschinnistan kennen und auch die Königin Marimeh, obwohl Ihr behauptet, daß nur die Roten das wissen, die Weißen aber nicht.“
Er wußte zunächst nicht, was er hierauf sagen sollte. Er sah mich fragend an.
„Sie hat recht“, bestätigte ich. „Wir wissen sogar den richtigen Namen der Königin. Sie heißt nicht Marimeh, sondern Marah Durimeh. Diese fünf Silben wurden im Laufe der Zeit von euch in drei zusammengezogen.“
„Wenn Ihr es sagt, Ihr selbst, dann muß ich es glauben“, erwiderte er. „Wie froh ich darüber bin, wie froh! Ihr kennt die Königin; ihr kennt Dschinnistan, und ihr kennt auch das große, das wunderbar einfache und doch allumfassende Gesetz dieses Landes. Da seid Ihr uns ja eine viel, viel größere und eine viel, viel wirksamere Hilfe als Athabaska und Algongka, die Ihr auch schon kennenlerntet! Wissen sie, wer Ihr seid?“
„Nein. Ich verschwieg es ihnen. Wir waren Mrs. und Mr. Burton, weiter nichts.“
Da strahlte sein sonst so ernstes Gesicht vor Vergnügen förmlich auf.
„Wie mich auch das erfreut, auch das!“ sagte er. „Welch eine Überraschung, wenn man euch erkennt! Welch ein tiefer, schöner und beglückender Eindruck auf Tatellah-Satah, meinen geliebten Meister, wenn er erfährt, daß Old Shatterhand nichts anderes will als er! Ihr wurdet gewünscht, aber doch gefürchtet, Mr. Burton!“
„Warum gefürchtet?“
„Weil Tatellah-Satah Euch äußerlicher nimmt, als Ihr seid. Weil er befürchtet, daß Ihr dem geplanten Denkmal, diesem Prunkwerk oberflächlicher und kurzsichtiger Denker, beistimmen werdet. Eure Stimme wiegt schwer; das weiß er, und das wissen wir alle. Fällt sie auf die Seite der Prahler, so erwartet uns anstatt der ersehnten Neugeburt die völlige Vernichtung. Die Seele unserer Nation, unserer Rasse ist erwacht. Sie streckt sich; sie bewegt sich. Sie beginnt zu denken. Sie will ihre Glieder als ein Einziges, als ein Zusammengehöriges, als ein großes Ganzes empfinden. Alle Einsichtigen streben nach diesem beseligenden, Stärke verheißenden Einheitsgefühl. Nun aber seht die Sioux, die Utahs, die Kiowas, die Komantschen! Sie greifen zu den Waffen, nicht gegen die Weißen, sondern gegen sich selbst, gegen ihre eigene Seele. Sie stehen bereit, diese Seele, die soeben erst im Erwachen ist, wieder niederzutreten, sie für immer zu vernichten. Warum?“
Er wollte diese seine Frage wohl selbst beantworten, aber das Herzle kam ihm schnell zuvor:
„Weil Old Surehand, Apanatschka, ihre Söhne und ihr Anhang das wohlberechtigte Nationalgefühl dieser Stämme verletzen, indem sie im Begriff stehen, dem Häuptling der Apatschen eine beispiellos überschwengliche Ehre zu erweisen, die ihm nicht gebührt.“
Da warf er einen erstaunten, ja fast erschrockenen Blick zunächst auf sie und
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